Denn er ist unser Friede, der aus beiden eins gemacht hat und hat den Zaun abgebrochen, der dazwischen war, indem er durch sein Fleisch die Feindschaft wegnahm. Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater.“ (Epheser 2,14.17-18)

 

Die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) findet in Karlsruhe, Deutschland, unter dem Thema „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“ statt. Das Thema leitet Delegierte und Teilnehmende dazu an, den Aufruf zur Einheit in Christus ernst zu nehmen und als Volk zu leben, das durch Christus mit Gott und miteinander versöhnt ist.

 

Der Krieg in der Ukraine

Während wir in Karlsruhe zusammenkommen, werden wir tragischerweise Zeugen davon, wie ein Krieg Europa zusetzt. Die Gedanken und Gebete aller Teilnehmenden der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) konzentrieren sich auf die Menschen in der Ukraine und auf das Land sowie auf die tragischen Konsequenzen, die sie seit der russischen Invasion am 24. Februar 2022, zusätzlich zu den tausenden Opfern, darunter viele Zivilistinnen und Zivilisten, im Osten des Landes und den hunderttausenden Flüchtlingen und Vertriebenen seit 2014, erlitten haben und noch immer erleiden.



Während dieser letzten sechs Monate haben die Menschen in der Ukraine ein erschreckendes Maß an Tod, Zerstörung und Vertreibung erlitten. Mehr als 13.000 ukrainische Zivilistinnen und Zivilisten sind getötet worden, Städte wie Mariupol liegen in Schutt und Asche und rund 14 Million Menschen – fast ein Drittel der gesamten Bevölkerung der Ukraine – mussten aus ihrer Heimat fliehen (gemäß dem UNHCR). Darüber hinaus gibt es zahlreiche Berichte über Gräueltaten, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen könnten, einschließlich sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie der stark gestiegenen Gefahr, Opfer von Menschenhandel zu werden. Weiterhin sind wir sehr besorgt über das Risiko katastrophaler Folgen infolge der Beschädigung des Atomkraftwerkes Saporischschja durch militärische Aktivitäten in dessen unmittelbarer Umgebung – sowie auch über die Sicherheit der Schutzhülle auf dem Gelände der Chernobyl-Katastrophe von 1986.



Bei seiner Tagung im Juni 2022 verurteilte der ÖRK-Zentralausschuss den Krieg als „illegal und nicht zu rechtfertigen“, beklagte das erschreckende Maß an Tod, Zerstörung und Vertreibung, an zerstörten Beziehungen und die tiefer denn je verwurzelte Feindschaft zwischen Menschen in der Region, die eskalierenden Konflikte weltweit, das gestiegenen Risiko einer Hungersnot in Weltregionen, die schon jetzt von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, die wirtschaftliche Not und gestiegene gesellschaftliche und politische Instabilität in vielen Ländern.

 

Die Vollversammlung bekräftigt nachdrücklich die vom Zentralausschuss zum Ausdruck gebrachte Haltung und verurteilt diesen illegalen und nicht zu rechtfertigenden Krieg. Als Christinnen und Christen aus verschiedenen Teilen der Welt erneuern wir den Ruf nach einem sofortigen Waffenstillstand, um das Sterben und die Zerstörung zu stoppen, und nach Dialog und Verhandlungen, um einen nachhaltigen Frieden zu erreichen.

 

Wir appellieren an alle Konfliktbeteiligten, die Grundsätze des internationalen Völkerrechts insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur sowie die humane Behandlung von Kriegsgefangenen zu respektieren.

 

Wir bekräftigen außerdem nachdrücklich die Erklärung des Zentralausschusses, dass Krieg nicht mit Gottes Natur und seinem Willen für die Menschheit vereinbar ist und gegen unsere grundlegenden christlichen und ökumenischen Prinzipien verstößt, und lehnen jeden Missbrauch religiöser Sprache und religiöser Autorität zur Rechtfertigung bewaffneter Angriffe und von Hass ab.



Wir fordern alle Parteien dringend auf, sich zurückzuziehen und von militärischen Handlungen in der Nähe des Atomkraftwerkes Saporischschja und anderen derartigen Orten, die eine unvorstellbare Bedrohungen für gegenwärtige und zukünftige Generationen darstellen können, abzusehen.

 

Wir beten gemeinsam für alle Opfer dieses tragischen Konflikts in der Ukraine, in der Region und auf der ganzen Welt, dass ihr Leid ein Ende haben möge und sie Trost finden und ein sicheres Leben und Würde für sie wiederhergestellt werden möge, und wir versichern sie der Liebe und Weggemeinschaft der weltweiten Gemeinschaft von ÖRK-Mitgliedskirchen. Wir loben die Ortskirchen, kirchlichen Dienste und Werke und alle humanitären Hilfsorganisationen, die notleidende Menschen in allen Teilen der Ukraine und darüber hinaus unterstützen und Kriegsflüchtlinge in vollem Respekt für deren gottgegebner Würde aufnehmen und versorgen.

 

Wie der Zentralausschusses auf seiner Tagung im Juni erklärte, kommt dem ÖRK eine wichtige Rolle dabei zu, seine Mitgliedskirchen in der Region zu begleiten und eine Plattform und ein sicherer Raum für Begegnung und Dialog zu sein, auf der und in dem die vielen drängenden Fragen angegangen werden können, die sich aus diesem Konflikt für die Welt und die ökumenische Bewegung ergeben. Wir unterstreichen die Berufung und die Verpflichtung der ÖRK-Mitgliedskirchen, nach Einheit zu streben und der Welt gemeinsam zu dienen.

 

Die Anwesenheit von Kirchenvertretenden aus der Ukraine und der multinationalen Delegation der Russisch-Orthodoxen Kirche zusammen mit Delegierten und Teilnehmenden von ÖRK-Mitgliedskirchen und ökumenischen Partnern aus anderen Teilen Europas und aus allen Regionen der Welt hat als eine praktische Gelegenheit zur Begegnung gedient. Wir verpflichten uns zu einem intensivierten Dialog über die Dinge, die uns trennen, – eine Hauptaufgabe des ÖRK. Denn die Fragen, die von dem Konflikt aufgeworfen worden sind, sind sowohl für die ökumenische Bewegung als auch für die Welt in der Tat tiefgreifend und von grundlegender Bedeutung, und sie rechtfertigen zu ihrer Lösung einen intensiven und anhaltenden Dialog.

 

Einstweilen wiederholen und bekräftigen wir den Aufruf des Zentralausschusses an unsere christlichen Schwestern und Brüder und an die Kirchenleitung in Russland wie auch in der Ukraine, ihre Stimmen zu erheben, um gegen die anhaltenden Tötungen, die anhaltende Zerstörung, Vertreibung und Enteignung der Menschen in der Ukraine Stellung zu beziehen.

 

Der Wiederaufbau nach dem Krieg wird beschwerlich sein und lange dauern, mit enormen menschlichen finanziellen und ökonomischen Kosten. Die Kirchen sind dazu aufgerufen eine Hauptrolle bei bedeutende Rolle bei der Heilung von Erinnerungen, Versöhnung und diakonischer Pflege zu spielen. Wir erkennen an, dass es im Krieg keine „Gewinner“ gibt und dass niemand jemals auf Krieg zurückgreifen sollte.

Als Antwort auf wachsende Militarisierung, Konfrontation und Proliferation von Waffen rufen wir die Regierungen Europas und der gesamten internationalen Gemeinschaft zu viel größeren Investitionen in die Suche nach und Förderung von Frieden sowie zur Stärkung von Maßnahmen zur friedlichen Konfliktbewältigung, zivilen Konflikttransformation und Versöhnungsprozessen, anstatt in die Ausweitung von Konfrontation und Teilung, auf.  Wir rufen den ÖRK und seine Mitgliedskirchen dazu auf, in ihrem Ansatz von Klarheit und Dialog fortzufahren. Wir unterstützen Runde Tische und andere Formen, die dazu beitragen können, Lösungen für den Konflikt und seine Auswirkungen zu finden. Wir verpflichten uns, unserer Verantwortung gerecht zu werden und uns gegenseitig in die Verantwortung dafür zu nehmen, das das Band christlicher Einheit erhalten bleibt. 

Migration, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus

Christi versöhnende Liebe heißt den Nächten willkommen. Aufbauend auf die Parabel vom Guten Samariter (Lukas 10,25-37) haben wir als Antwort auf die Frage „Wer ist denn mein Nächster?“ Jesu   Aufruf gehört und empfangen, denjenigen ohne Ausnahme und ohne Diskriminierung Mitleid und Erbarmen zu zeigen, die verletzt sind oder leiden. Wir nutzen unsere Ressourcen, unsere Stimmen und unseren Sinn der Empathie, um auf die Schreie nach Heilung und Ganzheit zu antworten. Wir sind für dieses Amt gestärkt und sehen die Lehren Jesu und sein Beispiel und erkennen, dass er selbst die Notwendigkeit, vor denen fliehen zu müssen, die ihn töten wollten, beginnen bei seiner Geburt, erlebt hat. Gemäß Christi Gebot zeigen wir Mitleid mit all denjenigen, die Zuflucht und Asyl suchen.

 

Migration ist eine natürliche Erscheinung menschlichen Lebens. Es gab sie im Laufe der Menschheitsgeschichte und in der biblischen Erzählung immer wieder. Aber in der Zeit seit der 10. ÖRK-Vollversammlung in Busan haben neue und anhaltende Konflikte, Unterdrückung und Verfolgung, der sich beschleunigende Klimawandel, entwicklungsbedingte Vertreibung und steigende Ungleichheit beispiellose Zahlen von Menschen dazu getrieben, ihre Heimat zu verlassen und auf ihrem Weg unglaubliche Risiken und Gefahren auf sich zu nehmen, um anderswo Sicherheit und ein besseres Leben zu finden. Viele von ihnen haben ihr Leben verloren. Wir bekräftigen, dass wir uns ihrer erinnern.

 

Wir stehen fest in der Überzeugung, dass der internationale Schutz von Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten auf Bedürftigkeit und Respect für die gleiche Würde jedes Menschen – unabhängig von Herkunft, Religion, Ethnie oder Orientierung der betreffenden Person – basieren sollte, wie es in EU- und internationaler Gesetzgebung dargelegt ist. Diese Überzeugung verlangt die Förderung von gleicher Behandlung und die Eliminierung von auf Rassismus und ‚Fremdmachung‘ basierenden Unterscheidungen und Diskriminierung sowie die Sicherstellung von Respekt für die gleiche menschliche Würde von Menschen aus allen Regionen.

 

Wir bekräftigen die gesetzlichen Verpflichtungen und moralischen Prinzipien, die fordern, dass wir Menschen in Not mit Mitgefühl und offenen Armen begegnen. Wir erkennen an und respektieren das Recht aller souveränen Staaten, Bestimmungen zur Kontrolle ihrer Grenzen und der Bedingungen für Zutritt und Bleiberecht frei festzulegen. Gleichzeitig erwarten wir von allen Staaten – in Europa und auf der ganzen Welt – , dass sie dem Wortlaut und Sinn ihrer Verpflichtungen unter internationalem Recht, einschließlich der Menschenrechtsnormen und des Flüchtlingsrechts und insbesondere des Rechts auf Asyl, nachkommen. Andernfalls setzen sie genau die Prinzipien und Schutzmaßnahmen aufs Spiel, die eingeführt worden sind, um auf solche Krisen zu reagieren, und zu denen alle berechtigt sein sollten. Wir bekräftigen die Erklärung der Konferenz von Vatikan und ÖRK vom September 2018: „Nationale Grenzen und den Nationalstaat in einer Werteordnung über die Anerkennung des Abbildes Gottes in jedem Flüchtling und Migranten zu stellen, ist eine Art von Götzendienst.“

 

Wir betrachten es als rechtlich und ethisch unstatthaft, wenn Staaten ihrer Verantwortung, Leben zu retten und Schutz zu bieten, nicht nachkommen wollen oder sie an andere Staaten und Territorien „auslagern“. Wir betrachten es als inakzeptabel, wenn Menschen in verletzlichen Positionen, die ihre Heimatländer auf der Suche nach einer sichereren Zukunft verlassen, von Regierungen oder anderen aus politischen Gründen oder für ihre eigenen selbstsüchtigen Ziele instrumentalisiert werden. Wir hinterfragen außerdem die Logik einer „Festungsmentalität“ der geschlossenen Türen, bevor man die Herausforderung der zunehmenden Bewegung von Menschen angeht. Wir rufen alle Staaten dringend auf, sichere, reguläre und zugängliche Zugangswege und Möglichkeiten für menschliche Mobilität im Einklang mit ihren Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten bereitzustellen und angemessene Schritte gegen die Ausbeutung der Vulnerabilität von Migrantinnen und Migranten und Flüchtlingen einzuleiten. Menschenschmuggel floriert, wenn es keine anderen Möglichkeiten für legale und sichere Migration gibt. Wir rufen Kirchen und Staaten dazu auf, Projekte für eine sichere Überfahrt, wie die „humanitärer Korridor“-Initiativen und die Seenotrettungsdienste im Mittelmeer zu stärken und auszubauen.

Wir rufen zu einer besseren Koordination und Kooperation, Solidarität und Respekt für Menschenrechte  in der Reaktion Europas auf Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten auf, einschließlich einer faireren Aufteilung der Verantwortung innerhalb der EU. Solidarität mit denen, die Schutz suchen, mit denen, die diese aufnehmen, und zwischen Kirchen sollte das Leitprinzip sein. Und wir rufen zu einer besseren regionalen und internationalen Kooperation bei der Bekämpfung der Ursachen auf, die die Krise der gewaltsame Vertreibung befeuern, vor allem gewaltsame Konflikte, der sich weiter beschleunigende Klimanotstand, die extreme Armut und fehlende Entwicklung sowie Unterdrückung und Verfolgung, die Menschen dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen.

Wir heben empor und bekräftigen das Vorbild, das viele Kirchen und kirchliche Organisationen, die sich aktiv darin engagieren, „Fremde“, Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten, willkommen zu heißen, ihren Gesellschaften und Regierungen bieten, insbesondere in Kontexten, wo Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten zunehmend stigmatisiert, diskriminiert, kriminalisiert, marginalisiert und ausgegrenzt werden.

 

Wir betonen die gottgegebene Würde aller Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten. Auf diesem Verständnis drängen wir die ÖRK-Mitgliedskirchen und ökumenischen Partner, gemeinsam mit allen Menschen guten Willens eine offenere und einladendere Annäherung an die „Fremden“ und Nächsten in Not und Schmerz zu fördern und dabei zu helfen, Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten mit umfassender Achtung ihrer gottgegebenen menschlichen Würde aufzunehmen.

 

Die Vollversammlung ermutigt den ÖRK, auch weiterhin seine convenor-Rolle auszuüben und Räume für Begegnung und Dialog zum Thema Migration mit Mitgliedskirchen und Partnern zu schaffen, um dort Informationen auszutauschen, Solidarität zu zeigen, gemeinsam Advocacy-Arbeit zu organisieren und Weggemeinschaft bereitzustellen. Eine Wiederbelebung des globalen ökumenischen Netzwerkes des ÖRK zu Migration sollte in diesem Kontext in Erwägung gezogen werden. Ferner ermuntern wir zu einer engeren Koordination und Kooperation mit der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME) und ACT Alliance in der Advocacy-Arbeit und praktischem Engagement, insbesondere bei der Nachbereitung der UN Global Compacts zu Migration und Flüchtlingen (Internetseite in englischer Sprache) und bei der Aufrechterhaltung der Flüchtlingskonvention von 1951. Es könnte auch darüber nachgedacht werden, wie der ÖRK Mitgliedskirchen und deren kirchliche Dienste und Werke darin unterstützen könnte, Menschenhandel, insbesondere von weiblichen Migrantinnen und Migrantenkindern, zu bekämpfen, unter anderem durch die Förderung von Networking zwischen Kirchen und Partnern in den Herkunftsländern und in den Aufnahmestaaten.



Da Jesus uns herausgefordert und mit einem erweiterten Verständnis vom Nächsten gesegnet hat, gehen wir auf die Rufe nach Taten als unsere Antwort auf seinen Auftrag „So geh hin und tu desgleichen! “ (Lukas 10,37) ein.

 



Hintergrund (zur Information)



1) Der Krieg in der Ukraine

Eine der vielen tragischen Folgen des Krieges in der Ukraine ist die stark gestiegene Militarisierung, Konfrontation und Spaltung auf dem europäischen Kontinent, die mit einer riesigen und meist unkontrollierten Proliferation von Waffen in der Region und einer neuen und sich zuspitzenden Gefahr eines Atomkonflikts einhergehen, welcher eine Katastrophe schrecklichen und wahrscheinlich globalen Ausmaßes auslösen würde. Eine neue Trennlinie wird quer durch den Kontinent gezogen und beide Seiten sind bis an die Zähne bewaffnet. Die Geschichte des Kalten Krieges lässt uns deutlich erahnen, was folgen könnte, und zeugt von den Risiken, die damit verbunden sind.

Es besteht die Gefahr, dass die Invasion in die Ukraine zu anderen Fällen führen könnte, in denen größere Länder versuchen, kleinere Nachbarländer unter dem Vorwand der Verteidigung nationaler Interessen einzunehmen. Krieg muss angesichts der unweigerlichen menschlichen Kosten vermieden werden, und Kirchen kommt eine Schlüsselrolle dabei zu, dies zu fördern. Trotz Misserfolgen in der Vergangenheit wird der multilateralen Diplomatie – insbesondere durch die Vereinten Nationen auf globaler Ebene – auch in Zukunft eine unverzichtbare Rolle bei der Bewahrung von Frieden zukommen.

Unterdessen bedeuten höhere Verteidigungsausgaben von Regierungen zwangsläufig, dass weniger Geld für Armutsbekämpfung, soziale Sicherung, Gesundheitsfürsorge, Bildung, Klimaschutzmaßnahmen und nachhaltige Entwicklung zur Verfügung steht. Die Armen werden davon unweigerlich am meisten betroffen sein. Während Kriegsführung eine direkte zerstörerische Wirkung hat, dürfen die sozialen und ökonomischen Folgen von Militarisierung nicht übersehen werden. So viele Menschen an anderen Orten in dieser Welt leiden an den Auswirkungen dieses Krieges. Die in die Höhe schießenden Kosten für Nahrung und die Energiekrise infolge des Krieges stürzen Menschen in Hunger und Elend. Die globalen menschlichen Folgen des Krieges in der Ukraine wurden vom ÖRK-Exekutivausschusses bei seinem Treffen vom 30. Mai bis 2. Juni 2022 hervorgehoben.

2) Migration, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus

In Europa ist Migration durch die gegensätzlichen Strömungen von hyper-verbundener Globalisierung und populistischem Nationalismus der Mittelpunkt einer schweren humanitären und politischen Krise geworden. Die Reaktionen von europäischen Ländern auf Migrantinnen und Migranten und Geflüchtete haben ernsthafte Sorgen hinsichtlich der Menschenrechte aufkommen lassen und verlangen nach dem Auftrag und der prophetischen Rolle der Kirchen. Allzu oft war die Reaktion von Regierungen und Gesellschaften in Europa, wo leidende Menschen Zuflucht gesucht haben, eine Reaktion der Angst, der Ablehnung und Ausgrenzung. Zu oft haben politische Akteurinnen und Akteure versucht, die Bedenken der Menschen zu verstärken und die Angst zu ihrem politischen Vorteil zu schüren. Allzu oft sind lang etablierte und fundamentale Prinzipien des humanitären Völkerrechts hinterfragt und unterminiert worden, einschließlich des Rechts auf Asyl – das fundamentale Prinzip, dass alle Menschen, die vor Konflikten oder Verfolgung fliehen, das Recht haben, ungeachtet ihrer Nationalität, Volkszugehörigkeit, Religion, Gesundheitszustandes oder jedes anderen Kriteriums außer ihrer Bedürftigkeit internationalen Schutz zu suchen. Kirchen haben in vielen Fällen Türen und Herzen geöffnet und auf eine Kultur von Gastfreundschaft und des Willkommens hingearbeitet. Aber wir bekennen, dass einige Kirchen darin gefehlt haben, der christlichen Berufung zu folgen, „Fremde willkommen zu heißen“.

Der ÖRK har zur Entwicklung des UNHCR-Dokuments „Welcoming the Stranger: Affirmations for Faith Leaders (2013, Dokument in englischer Sprache) beigetragen. Während der Zeit seit der Vollversammlung in Busan haben der ÖRK und seine Leitungsgremien dieser Angelegenheit durch Solidaritätsbesuche bei Geflüchteten und gastgebenden Gemeinschaften, durch Konsultationen mit Kirchenleitenden sowie staatlichen Partnern und den Vereinten Nationen, durch die Zusammenarbeit mit ACT Alliance (Internetseite in englischer Sprache) und der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME, Internetseite in englischer Sprache), durch große Konferenzen (wie die Konferenz von ÖRK und der UN zu „Europas Reaktion auf die Flüchtlings- und Migrationskrise, von den Ursprungsorten über die Durchgangsstationen bis zur Aufnahme und Zuflucht“ vom 18. bis 19. Januar 2016 in Genf, die Konferenz von Vatikan und ÖRK „Frendenfeindlichkeit, Rassismus und populistischer Nationalismus im Kontext globaler Migration“ vom 18. bis 20. September 2018 in Rom und das „Global Forum for Faith Action for Children on the Move“ [Internetseite in englischer Sprache], das gemeinsam mit „World Vision International” und anderen führenden aus dem Glauben heraus handelnden Organisationen organisiert worden war und vom 16. bis 19. Oktober 2018 in Rom stattfand), durch öffentliche Erklärungen der ÖRK-Leitungsgremien und durch Advocacy-Arbeit ernsthafte und anhaltend Aufmerksamkeit geschenkt.

Während die 11. ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe zusammenkommt, gibt es derzeit 281 Millionen Migrantinnen und Migranten weltweit, und die Zahl derer, die gewaltsam vertrieben wurden, ist auf 84 Million angestiegen. Seit 2011 haben mehr als sechseinhalb Millionen Menschen – aus Syrien, Afghanistan, Venezuela, Eritrea und anderen Ländern – Asyl in Europe beantragt. Viele schutzbedürftige Menschen, die an Europas Grenzen ankommen, haben Pushbacks, Inhaftierung, lange Wartezeiten im Asylprozess und zunehmend diskriminierende und unfaire Gesetze zur Regelung ihres Rechts, Asyl zu beantragen, erlebt. Die Situation im Mittelmeer ist immer noch eine groß Tragödie. Hunderte Menschen - Kinder, Frauen, Männer - ertrinken im Meer. Andere werden Opfer von Menschenhandel, bevor sie die Küsten Europas erreichen.

Seit dem Angriff auf die Ukraine haben mehr als sieben Millionen Menschen auf der Flucht vor den Kämpfen die Grenzen in die EU überschritten, davon mehr als eine Million in einer Woche. Viele von ihnen sind von Freiwilligen, der Zivilgesellschaft, Kirchen und Regierungen in ganz Europa und darüber hinaus großzügig willkommen geheißen worden. Aber diese Arbeit der Solidarität wird von einigen europäischen Ländern hinterfragt, wo Ukraine-Flüchtlinge mit afrikanischer, asiatischer oder Roma-Herkunft oder Menschen, die ursprünglich aus dem Nahen Osten kommen, Diskriminierung erfahren haben. Dies ereignet sich an Grenzübergängen, wo oft der Zugang zu Transportmitteln verwehrt wird, bei Flüchtlingseinrichtungen und in Lagern sowohl durch Regierungsvertreter als auch durch Hilfsorganisationen. Internationaler Schutz muss auf Bedürftigkeit beruhen – unabhängig von Herkunft, Religion, Volkszugehörigkeit oder Orientierung der betreffenden Person –, wie es in internationaler und EU-Gesetzgebung festgelegt ist. Das Gefühl, willkommen zu sein, mit dem europäischen Flüchtlingen aus der Ukraine begegnet wird, spiegelt Europas umfassenderen Ansatz in Sachen Migration wider. Die unterschiedlichen Maßstäbe sind frappierend.

 

Auch Russland hat eine große Anzahl Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Uns sind Berichte über Ukraine-Flüchtlinge in Russland bekannt, die entmenschlichende und entwürdigende Behandlung durch Verhöre, Folter und Loyalitätstests in den Ankunftslagern erlebt haben. Diese müssen von der ökumenischen näher untersucht werden. Wir würdigen die Arbeit, die Kirchen, religiöse Organisationen und Freiwillige in Russland zur Unterstützung der Flüchtlinge aus der Ukraine leisten.

 

Wir betrachten es als inakzeptabel, wenn Menschen in vulnerablen Positionen, die ihre Heimatländer auf der Suche nach Sicherheit und einer Zukunft verlassen, von Regierungen aus politischen Gründen instrumentalisiert werden. Wir beobachten diese beunruhigende Entwicklung besonders in Europa. Über viele Jahre haben europäische Regierungen versucht, ihre Verpflichtung zum Schutz auf Länder außerhalb Europas auszulagern, während sie die Außengrenzen der EU immer mehr abgeriegelt haben. Hierbei haben Mitgliedsstaaten und europäische Agenturen wie Frontex nicht nur Grundprinzipien internationalen Rechts, die Genfer Konvention und europäisches Recht, unterlaufen, sondern oft auch offen das Gesetz gebrochen. Dieses Vorgehen folgt der Kalkulation der Abschreckung: Je größer das Leid, desto weniger Flüchtlinge kommen an. Diese Annahme ist nicht nur falsch, sondern hat ernsthafte und oft tödliche Konsequenzen für die Schutzsuchenden.

Tausende Menschen sterben in der Ukraine jedes Jahr, weil europäische Regierungen aufgehört haben, Seenotrettung zu betreiben, und alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um zivile Seenotrettung zu behindern. An den Land-Außengrenzen der EU – wie an der bosnisch-kroatischen Grenze oder in den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla – wird massive Polizeigewalt gegen Schutzsuchende angewandt. Menschen, die es über die türkisch-griechische Grenze oder das Ägäische Meer geschafft haben, werden bewusst Elend ausgesetzt, illegal in Lagern interniert oder in die Türkei zurückgedrängt. Mehrere Menschen starben im Winter 2021, als das Regime in Belarus tausende Asylsuchende nach Europa brachte, wo sie hilflos in Wäldern an der EU-Grenze gefangen waren. Und mehr und mehr Menschen ertrinken wegen mangelnder Hilfe bei dem Versuch, das Vereinigte Königreich über den Ärmelkanal zu erreichen. Derartige Rechtsverletzungen durch Staaten dürfen niemals akzeptabel werden und unbestraft bleiben. Wir sind tief besorgt über die Erosion des Flüchtlingsrechts und die anhaltenden politischen Versuche, die zu kriminalisieren, die Flüchtlingen helfen und dringend benötigte Solidarität zeigen.