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Stoppt den Krieg

14. Mrz 2022

Offener Brief an die pax christi-Mitglieder

Es stimmt: „Nie hatte die Menschheit so viel Macht über sich selbst, und nichts kann garantieren, dass sie diese gut gebrauchen wird“. Deshalb können wir den Krieg nicht mehr als Lösung betrachten, denn die Risiken werden wahrscheinlich immer den hypothetischen Nutzen, der ihm zugeschrieben wurde, überwiegen. Angesichts dieser Tatsache ist es heute sehr schwierig, sich auf die in vergangenen Jahrhunderten gereiften rationalen Kriterien zu stützen, um von einem eventuell „gerechten Krieg“ zu sprechen. Nie wieder Krieg! (FT 258)

Es ist wichtig hinzuzufügen, dass mit der Entwicklung der Globalisierung das, was als sofortige oder praktische Lösung für ein Gebiet der Erde erscheinen mag, eine Kettenreaktion von oft versteckt verlaufenden Gewaltfaktoren auslöst, die schließlich den gesamten Planeten betrifft und den Weg für zukünftige neue und schlimmere Kriege bereitet. In unserer Welt gibt es nicht mehr nur „Stücke“ von Krieg in dem einen oder anderen Land, sondern einen „Weltkrieg in Stücken“, weil die Schicksale der Nationen auf der Weltbühne zutiefst miteinander verflochten sind. (FT 259)

Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Fratelli Tutti“

 

Liebe pax christi-Mitglieder,

wir sind erschüttert über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und verurteilen ihn aufs Schärfste. Wir sind in Gedanken und Gebeten bei der ukrainischen Bevölkerung, die furchtbare Tage des Krieges und des Leidens durchlebt. Wir appellieren an die russische Regierung, die Waffen schweigen zu lassen und sofort an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen und tritt das Völkerrecht mit Füßen. Die russische Regierung isoliert sich selbst damit und fügt der Ukraine, aber auch Russland schweren Schaden zu.

Dieser Krieg richtet sich gegen die europäische Sicherheitsarchitektur, denn er zerstört den demokratischen Aufbau eines Landes. Er zerstört Menschenleben und Infrastruktur in der Ukraine. Er zerstört Vertrauen. Er zerstört die Umwelt. Dieser Krieg wirft die wachsende ukrainische Zivilgesellschaft und die Klimaschutzbemühungen massiv zurück.  

Zugleich sind wir in Gedanken und Gebeten bei der russischen Bevölkerung. Dieser Krieg zerstört die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die für die russische Bevölkerung ein wichtiger Zukunftspfeiler ist. Wie viele Bürger:innen Russlands sind wie wir entsetzt über diesen Krieg, der für sie ein Bruderkrieg ist. Wir senden unser Mitgefühl zu allen, die verzweifelt ertragen müssen, welchen Krieg die russische Regierung führt, ohne dass sie es verhindern können. Wir stehen mit großem Respekt hinter denen, die öffentlich gegen den Krieg protestieren; wissend, dass sie dafür Repressionen zu erdulden haben.

 Wir haben uns geirrt

Wir konnten uns nicht vorstellen, dass es zu diesem Krieg kommt. Wir haben seit Jahren aus der Ukraine, aus Polen und aus dem Baltikum die Sorgen und Warnungen vor Übergriffen der Putin-Regierung auf frühere Gebiete der Sowjetunion gehört. Wir haben es gehört und nicht geglaubt. Das schmerzt, weil wir dadurch wohl auch die Angriffe russischer Truppen in Tschetschenien und Georgien wahrgenommen, aber zu wenig beachtet und nicht ausreichend Schlussfolgerungen daraus gezogen haben. Militärische Erfahrungen aus diesen Kriegen und aus Syrien werden jetzt in der Ukraine eingesetzt.

Genauso schmerzt, dass die Warnungen und Analysen aus der Friedensbewegung zur EU- und NATO-Politik ignoriert worden sind. Die Eskalation ist nicht gestoppt und damit die Gewaltspirale nicht verhindert worden. Wichtig ist uns aber die Klarheit, dass all diese politischen Fehler „des Westens“ Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine in keiner Weise rechtfertigen können.

Wir erinnern an unsere Hoffnung auf Friedensdividenden nach dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs. Heute setzen wir uns weiterhin für den Aufbau einer gemeinsamen, gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur Europas unter Einbezug der Ukraine, Russlands und Belarus ein.

pax christi ist herausgefordert

Dieser Krieg fordert das Selbstverständnis der pax christi-Bewegung heraus. In der Präambel der Satzung heißt es: „pax christi – Der Friede Christi ist die bleibende Hoffnung und Vision unserer Bewegung. Der Glaube an die Friedensbotschaft Jesu Christi schenkte Menschen nach der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs Kraft und Mut zur Versöhnung, die von Christ:innen aus Frankreich ausging. Im Vertrauen auf diese Friedensverheißung halfen sie, Grundsteine für ein friedliches Zusammenleben der ehemals verfeindeten Völker Europas zu legen. Aus dieser Erfahrung, dass Versöhnung eine politische und religiöse Kraft ist, können wir schöpfen: Es ist möglich, Vergebung zu gewähren, statt Vergeltung zu üben; es ist möglich, Schuld nicht zu verdrängen, sondern einzugestehen und Versöhnung und Neuanfang zu wagen.“

Wir halten fest an der Option der Gewaltfreiheit

Die Vision, für die wir uns einsetzen, steht für eine Welt ohne Gewalt und Waffen. Gerade jetzt ist es uns wichtig, uns dieser Grundfesten unserer Bewegung zu vergewissern.

Wir halten fest an dem Ziel, zu einer gewaltfreien Friedenskultur beizutragen. pax christi will dazu beitragen, den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen und die Gewaltspirale zu beenden.

Damit widersetzen wir uns der verbreiteten Gewohnheit, mit Gegengewalt auf erfahrene Gewalt zu reagieren. Aber wir stehen in einem Dilemma. Die Gottesliebe kann dem Christenmenschen gebieten, die eigene Ohnmacht anzunehmen und Unrecht zu erleiden.  Als Nächstenliebe darf sie sich nicht mit der Ohnmacht und Unterdrückung der anderen abfinden – und Gott mit dem Rücken zu den Leidenden lieben wollen. In der Bergpredigt werden wir aufgefordert, auch die linke Wange hinzuhalten, wenn uns auf die rechte geschlagen wird. (Mt 5,39) Das bedeutet aber nicht, eine solche Handlungsweise einzufordern von anderen, denen auf die rechte Wange geschlagen wird.

Unter dieser Maßgabe orientieren wir uns an der Perspektive der aktiven Gewaltfreiheit und des zivilen Ungehorsams. Wir entscheiden uns für Gewaltfreiheit und arbeiten mit allen zusammen, die diese Option wählen.

Friede in Jesu Sinne verzichtet auf Gewalt. Friede fängt dort an, christlich zu werden, wo die Nächstenliebe die Feindesliebe mit einschließt. Der Nächste ist für uns Christ:innen auch der Feind. Und da fängt die Herausforderung an, uns zu zerreißen. Denn: das Liebesgebot duldet keine Grenzen – von Jesus her. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass Gesprächskanäle auch nach Russland aufrechterhalten werden. Die Politik darf den Dialog nicht aufgeben. Weiterhin darf nicht aufgehört werden, auf allen diplomatischen Wegen nach deeskalierenden Lösungen zu suchen.

Unsere Unterstützung haben alle, die vor diesem Krieg fliehen und versuchen, die Ukraine zu verlassen. Wir sind dankbar für die offenen Grenzen für diese Menschen. Wir fordern alle Regierungen auf, dafür zu sorgen, dass diese offenen Grenzen unterschiedslos für alle Menschen gelten, die diesem und anderen Kriegsgebieten zu entkommen versuchen. Rassistische Zurückweisungen sind ein Skandal und müssen eingestellt werden. Alle Menschen, die vor diesem und anderen Kriegen fliehen, haben ein Recht auf Asyl, Schutz und Aufnahme in sicheren Gebieten.

Wir setzen uns ein für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung sowohl in Russland als auch in der Ukraine.

Wo bleibt der Vorrang für zivil?

Sehr besorgt macht uns der Paradigmenwechsel, den Bundeskanzler Scholz für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik verkündet hat.  Wir verstehen den Anspruch an die deutsche Politik, die Ukraine nach Kräften zu unterstützen. Wir sehen, dass in der Vergangenheit falsche Entscheidungen getroffen wurden. Es fehlt eine gesamteuropäische Sicherheitsstruktur unter Einbezug aller europäischen Länder außerhalb der EU. Es ist ein Fehler deutscher Politik, diese seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zerfall der Sowjetunion nicht angestrebt und mitaufgebaut zu haben. Aber wir fragen: Ist die jetzt angekündigte „Zeitenwende“, die sich vor allem als militärische Aufrüstung Deutschlands zeigt, wirklich alternativlos?

pax christi lehnt die von Bundeskanzler Scholz angekündigten massiven Umlenkungen von Steuergeldern ins Militär als Schritt in die falsche Richtung ab. Stattdessen sollten die Ressourcen der zivilen Konfliktbearbeitung weiter ausgebaut werden. Hierbei geht es um die wichtige Expertise des zivilen Friedensdienstes in der Konfliktprävention und -nachsorge und um noch mehr. Es geht um den Vorrang für zivil, um faire Weltwirtschaftsstrukturen und die Globalisierung von sozialer, kultureller und medizinischer Infrastruktur. Es geht um die Anerkennung und den klugen Ausgleich zwischen den Interessen von Industrieländern und rohstoffexportierenden Staaten. Es geht um die Förderung der Resilienz pluralistischer, liberal-demokratischer Gesellschaften gegenüber den Zumutungen autokratischer und rassistischer Gesellschaftsvorstellungen. Weiterhin und immer wieder geht es beim Vorrang für zivil auch um die Verwirklichung der Menschenrechte und die Bewahrung der Schöpfung.

Das 2%-Ziel der NATO bleibt eine rein quantitative Maßgabe, die bar jeglicher inhaltlichen Fundierung keine Sicherheit schafft, sondern den wahren Herausforderungen wie soziale Gerechtigkeit, Bildung und Klimaschutz notwendige Finanzen und Aufmerksamkeit entzieht. Dieser NATO-Beschluss war und ist ein Förderprogramm für die Rüstungsindustrie. Frieden schaffen geht anders – auch jetzt angesichts des menschenverachtenden Angriffskriegs von Putins russischen Truppen auf die Ukraine. Die ethisch und sachlich begründete Kritik und Ablehnung der Anschaffung bewaffneter Drohnen, der nuklearen Teilhabe und der Anschaffung neuer, für Atomwaffen geeigneter Kampfflugzeuge ändert auch Putins Krieg gegen die Ukraine nicht. Hier werden Stimmungen ausgenutzt. Die behauptete Alternativlosigkeit behindert die so nötige breite gesellschaftliche Diskussion zur Außen- und Friedenspolitik.    

Auch die viel beschworene mangelhafte Ausrüstung der Bundeswehr, auch bisher mangelhaft entwickelte Fähigkeiten bspw. im Bereich des Cyberschutzes rechtfertigen keinesfalls diese horrenden Rüstungsausgaben. Eine solche opportunistische Prioritätensetzung setzt vielmehr die Glaubwürdigkeit der Politik aufs Spiel.

In seiner Enzyklika „Fratelli Tutti“ macht Papst Franziskus sich für die internationale Rechtsordnung stark. Er schreibt: „Wenn man eine wirkliche ganzheitliche menschliche Entwicklung für alle anstrebt, muss man weiter unermüdlich der Aufgabe nachgehen, den Krieg zwischen den Nationen und den Völkern zu vermeiden. Zu diesem Zweck muss die unangefochtene Herrschaft des Rechtes sichergestellt werden sowie der unermüdliche Rückgriff auf die Verhandlung, die guten Dienste und auf das Schiedsverfahren, wie es in der Charta der Vereinten Nationen, einer wirklich grundlegenden Rechtsnorm, vorgeschlagen wird.“ (FT 257) pax christi wird sich auch künftig für eine Stärkung der Vereinten Nationen, für ihre Strafgerichtsbarkeit und für Reformen einsetzen, die die friedensfördernden und Friedens erhaltenden Möglichkeiten der VN stärken.

Was können wir jetzt tun?

Das TUN, was prioritär nötig ist und notwendend gebraucht wird:

In der ersten Austauschrunde des Bundesvorstandes mit den pax christi-Expert:innen zur Ostarbeit und zur Friedenspolitik wurde es so formuliert: Es geht jetzt darum, die Verheißung auf eine Zukunft in Frieden wachzuhalten.

Deshalb beteiligen wir uns an der Organisation von öffentlichen Zeichen gegen den Krieg, wie Demonstrationen oder Friedensgebeten.

Mit Friedensgebeten schaffen wir Orte zur gegenseitigen Stärkung. Zum Beten für die, die unter diesem Krieg leiden und auch zum Teilen der Ohnmacht, die wir angesichts dieses brutalen Krieges empfinden.

Durch den Aufruf zu Mahnwachen und Demonstrationen, schaffen wir Möglichkeiten, das eigene Unbehagen auf die Straße zu tragen und politisch die Stimme zu erheben. Wir erleben das Miteinander als Bestärkung in unserem Einsatz für ein Ende des Krieges und das Ende der Gewalt.

Wir setzen uns dafür ein, Kriegsflüchtlinge bei uns willkommen zu heißen.

Kriegsdienstverweigerer:innen aus der Ukraine und Russland sind bei uns aufzunehmen; das individuelle Recht, sich einem Kriegsdienst mit der Waffe zu entziehen, muss unbestritten bleiben und anerkannt werden.

Unterstützt die Aufrechterhaltung bestehender Partnerschaften aus der Ukraine und Russland: Alle individuellen, beruflichen sowie organisatorischen Kontakte in die Ukraine und Russland sollten in diesen Zeiten wiederbelebt bzw. beibehalten werden.

Wir sind froh um die Gemeinschaft, die wir in der pax christi-Bewegung haben, die uns Rückhalt und Hoffnung gibt. 

Mit Friedensgrüßen

der pax christi-Bundesvorstand