Ablons düstere Wahlprognose

Welches Szenario präsentiert sich, wenn ein Sohn des gestorbenen Diktators und eine Tochter des amtierenden tyrannischen Präsidenten die zwei höchsten politischen Ämter im Land für sich gewinnen? Die Prognose von Antonio Ablon, Bischof der Iglesia Filipina Independiente, für die Wahl in den Philippinen am 9. Mai 2022 lässt nichts Gutes hoffen.

Die Wahlen in den Philippinen geben Grund zur Besorgnis. © Foto: RJ Joquico/unsplash | Die Wahlen in den Philippinen geben Grund zur Besorgnis.
Wahlen in den Philippinen sind und waren immer eine Chance für einen Wechsel. Das ist zumindest das Mantra bzw. die Verheißung von Politker*innen in den Wahlkampagnen von nationaler Ebene bis hin zu den Lokalregierungen. Und die Menschen wählen oder wählten den Wechsel. Der Wechsel, den die Menschen erhoffen richtet sich auf ihre ökonomische Situation – Jobs, Essen, Unterkunft, Gesundheit und soziale Ordnung. Alle Präsident*innen, früher und heute, versprachen während des Wahlkampfes Abhilfe und die Erarbeitung von Lösungen. Aber echte Veränderungen sind nie eingetreten.

Dutertes gebrochene Wahlversprechen

Rodrigo Duterte gewann 2016 die Wahlen deswegen, weil er einen grundlegenden Wandel in Aussicht gestellt hatte. Neben anderen Dingen versprach er:

• Frieden durch Gespräche zwischen Regierung und Rebellengruppen, um die fünf Jahrzehnte andauernden Aufstände zu beenden. Aber er setzte sie aus, nachdem die ersten zwei Gesprächsrunden fast zu einer Einigung geführt hätten.

• Die Lösung des Drogenproblems innerhalb von sechs Monaten. Stattdessen ermordete er tausende der Ärmsten.

• Ein Ende der Kontraktualisierungs-Politik, die kurze Arbeitsverträge ohne soziale Absicherungen erlaubt. Aber er erhob selbst Einspruch als der neue Gesetzentwurf durch den Kongress gegangen war.

• Die Ausmerzung von Armut – „land to the tillers“ (Land denen, die es pflügen). Nur gehörten die Verantwortlichen in der Kommission für Armutsbekämpfung und in den Abteilungen für Landreform, Sozialhilfe, Umwelt und Bodenschätze in das linke Spektrum politischer Aktivist*innen, wohingegen seine politischen Verbündeten und die Oligarchie bei einer Umsetzung der Gesetzesentwürfe zugunsten der Unterdrückten und Marginalisierten empfindlich getroffen worden wären.

So unverständlich es ist, Duterte genießt das Vertrauen der Bevölkerung, obwohl er seine Versprechen nicht gehalten hat. Und trotz der grauenvollen vielfachen extralegalen Morde in seinem „Krieg gegen die Drogen“, denen auch Aktivist*innen und Oppositionelle zum Opfer fielen. Dieses Vertrauen zeigte sich etwa während der 2019 stattfindenden Senatswahlen, als nahezu alle Kandidat*innen seiner Partei Sitze erhielten, inklusive eines pensionierten Polizeigenerals, der als Kopf hinter dem „Krieg gegen die Drogen“ gilt.

Bei Hochrechnungen liegt das Tandem Marcos-Duterte vorn

Bei den Wahlen im Mai 2022 führt das Tandem Marcos-Duterte die Hochrechnungen an. Ferdinand Marcos Junior, Sohn des früheren Diktators Marcos, als Präsidentschaftskandidat und Sara Duterte, Tochter des amtierenden tyrannischen Präsidenten Rodrigo Duterte, als Anwärterin auf die Position der Vizepräsidentin. Verschiedene Datenerhebungen rechnen damit, dass 50 bis 60 Prozent der Wähler*innen für dieses Tandem stimmen. Eine Erklärung dafür könnte darin liegen, dass die Kräfte aus Duterte Anhänger*innen (Diehard Duterte Supports oder DDS) und Marcos Loyalist*innen sich hier bündeln.

Was, wenn die Hochrechnungen am 9. Mai wahr werden?

Es würde das Aufblühen des historischen Revisionismus bedeuten, also ein Blick auf die 20 Jahre unter Marcos als goldenes Zeitalter für die Philippinen. Als wäre es keine Diktatur gewesen, als hätte es die so weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen nicht gegeben. Und das trotz der Gesetze zur Entschädigung tausender Opfer und trotz der Urteile über illegal erworbene Reichtümer durch das höchste Gericht der Philippinen.

Es würde bedeuten, öffentlich zu behaupten, Marcos hätte sich nicht zu Unrecht bereichert, sondern wäre schon vor seiner Präsidentschaft reich und mächtig gewesen.

Es würde bedeuten, dass die Einforderung von Steuerzahlungen zum Problem würde. Die Marcos Familie wird von einem pensionierten Richter des höchsten Gerichtes angeklagt, dem philippinischen Staat umgerechnet 3,6 Milliarden Euro Steuern schuldig zu sein. Und das trotz Bemühungen der Steuerbehörde, das Geld einzutreiben.

Und schließlich würde Präsident Duterte gegenüber dem internationalen Strafgerichtshof in Schutz genommen, wo bereits Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet wurden. So würden alle Siege, die das philippinische Volk durch das Niederringen der Marcos Diktatur errungen hatte, verloren gehen.

Bischof Antonio Ablon © Foto: privat | Bischof Antonio Ablon

Gibt es Hoffnung?

Leni Robredo, die amtierende Vize-Präsidentin, die für die Opposition kandidiert, ist die einzige Hoffnung. In den Hochrechnungen von März diesen Jahres hat sie einen Stimmanteil von 17-24 Prozent der Wähler*innen. Viele Analyst*innen und Beobachter*innen meinen aber, dass diese Zahlen nicht die Stimmung an der Basis widergeben und auch Wahlauftritte von Leni Robredo Anfang April noch unberücksichtig blieben. Auf jeden Fall erhält ihre Kandidatur noch weiteren Auftrieb.

Gibt es Hoffnung auf einen wirklichen Wandel? Nicht unbedingt. Es ist nur eine Hoffnung gegen das Come-Back der Diktatur und auf den Schutz der Demokratie, die wir 1986 durch die unblutige „people power revolution“ erkämpft haben. Es ist eine Hoffnung, historischen Revisionismus zu verhindern und den Schutz von Menschenrechten aufrecht zu erhalten.

Leni Robredo gehört zur liberalen Partei. Ich glaube, dass sie aus taktischen Gründen als unabhängige Kandidatin auftritt. Die liberale Partei steht hinter ihr und arbeitet inkognito als ihre Wahlmaschine im Hintergrund. Zurzeit sind die Liberalen in der Opposition. An der Macht können sie auch gefährlich sein. Die Geschichte hat gezeigt, dass sie zur Elite gehören und nur Lippenbekenntnisse ablegen, den Armen und Unterprivilegierten in der Gesellschaft zu dienen. Beide Aquino Präsidentschaften sind Beispiele dafür. Corazon Aquino, die keine Parteimitgliedschaft hatte, aber von den Liberalen unterstützt wurde, war verantwortlich für das Mendiola Massaker an Bauern. Unter ihrem Sohn, Benigno Aquino, gab es u. a. das Massaker an Lumads [Anm. d. Red.: Selbstbezeichnung einer Gruppe indigener Völker, die im Süden der philippinischen Insel Mindanao leben]. Während ihrer Amtszeiten wurden Gesetze erlassen, die dem Anschein nach den Massen zu Gute kamen, tatsächlich aber ausländische Kapitalist*innen und ihre lokalen Truppen begünstigten.

Verzerrung historischer Fakten oder Geschichtsamnesie?

Es ist nur eine schwache Hoffnung. Das philippinische Volk scheint eine Geschichtsamnesie zu haben, indem es die dunklen Tage der Gewaltherrschaft vergisst. Oder vielleicht ist es auch bereits von der zunehmenden Verzerrung historischer Fakten durch die sozialen Medien beeinflusst, mit ihrer Desinformation, Falschinformation und fake news. Die Vermutung liegt nahe, dass dies und andere Machenschaften von langer Hand von den Marcos-Anhänger*innen für ihre Rückkehr an die Macht vorbereitet und geplant wurden. Wahlen in den Philippinen sind bekannt für Fälschungen, Bestechungen, Morde und den Kauf von Wähler*innenstimmen. 2019 gab es eine sieben Stunden währende Panne bei den technisch unterstützten Wahlen. Der ganze Automatenapparat arbeitete nicht. Nachdem er in Ordnung gebracht worden war, sprangen die Kanditat*innen von Duterte sofort an die Spitze der Auszählungen.

Was könnte zu einem Gewinn der Opposition verhelfen? Das Unterstützer*innenteam von Leni Robredo müsste die Massen erreichen und sie bezüglich der Lügen und falschen Versprechungen der Marcos und Dutertes wachrütteln. Das Wichtigste ist für die Opposition und für die aufgeweckten Philippiner*innen die Wahlvorgänge genau zu bewachen, um Betrug und Manipulationen zu verhindern.

Für den Fall, dass Leni Robredo gewinnt, sollten Philippiner*innen mit einem hohen Grad an aktiver Wachsamkeit und kritischer Unterstützung an der neuen Elite gestützten Regierung teilhaben. Wenn der Sohn des Diktators gewinnt, müssen wir uns auf den Kampf gegen Lügen und Täuschungen durch einen neuen populären Diktator einstellen, der so tut als ob er Gesetze des Landes umsetzt, sie in Wirklichkeit aber als Waffe gegen sein eigenes Volk richtet. Echter Wandel kommt dann, wenn die Menschen sich bewusst werden, Bürger*innen des Landes zu sein und auch als solche zu leben, statt diejenigen Politiker*innen als Retter*innen zu verehren, die sie zugrunde gerichtet haben.

Die Rolle der Kirche

Und welche Rolle kommt in all dem der Kirche zu? Sie spielt immer eine Rolle in der Gesellschaft, auch dann wenn sie zu ihrer Verarmung beiträgt. Es ist auch ihre Rolle, die Gesellschaft von Unterdrückung zu befreien. Sie ist am Kampf um nationale Souveränität, um menschliche Würde und um Befreiung beteiligt seit Mose, zur Zeit von Jesus Christus und im heutigen Kontext. Bei dieser Wahl muss die Kirche wieder einmal ihre Rolle übernehmen, das Bewusstsein der Gesellschaft zu sein und die Menschen aktiv über die wahre Situation aufzuklären: die drohende Diktatur und Wahlbetrug.

Antonio Ablon


Zur Person

Antonio Ablon ist Bischof der Iglesia Filipina Independiente. Wegen seines Menschenrechtsengagements wird er in den Philippinen politisch verfolgt und erhält seit Jahren Morddrohungen. Zurzeit ist er in der Nordkirche in der Seemannsmission und als ökumenischer Mitarbeiter des Zentrums für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit tätig.


Veranstaltungs-Tipp:

Philippinen nach den Wahlen – Online-Event am 24. Mai 18-20 Uhr: Ein Abend mit Bischof Antonio Ablon in englischer Sprache. Am 9. Mai finden in den Philippinen Präsidentschaftswahlen statt. Analyse, Einschätzungen und Gelegenheit zu Aussprache und Diskussion, was das für das Land und die Zivilgesellschaft bedeutet, soll im Rahmen der Veranstaltung des ZMÖ von Teilnehmenden, Veranstaltende und Bischof Antonio Ablon gemeinsam erörtert werden.

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