Als die Missionen einig(er) wurden

Mit dem Ersten Weltkrieg waren die deutschen Missionar*innen aus fast allen „Missionsfeldern“ ausgewiesen worden. Nach dem Krieg wollten sie möglichst schnell auf ihre alten Arbeitsfelder zurück. Aber dazu mussten sie enger zusammenarbeiten – was sie bis dahin eher vermieden hatten. Doch das sollte sich mit der Gründung des „Deutschen Evangelischen Missionsbunds“ (DEMB) am 10./11. Oktober 1922 ändern.

Ein Blick ins Archiv: So sah der Briefkopf des Deutschen Evangelischen Missionsbundes 1929 aus. Ein Blick ins Archiv: So sah der Briefkopf des Deutschen Evangelischen Missionsbundes 1929 aus.

Noch 1921 fühlten sich die Missionen – und hier gingen sie konform mit der damals in Deutschland herrschenden Meinung – als unschuldige Opfer eines Deutschland aufgenötigten Krieges. Auf die Einladung, an der Gründungskonferenz des Internationalen Missionsrats (IMR) von Lake Mohonk/New York im Oktober 1921 teilzunehmen, erklärte der „Deutsche Evangelische Missions-Ausschuss“ (DEMA), dass es den deutschen Missionen „zu ihrem Schmerz zur Zeit innerlich unmöglich“ sei, Vertreter dorthin zu entsenden, auch wenn darin sie die dadurch ausgedrückte „brüderliche Gesinnung keineswegs verkennen“.

Dass der DEMA überhaupt gefragt worden war, lag daran, dass es keinen anderen Ansprechpartner in Deutschland gab – und der war nur ein loser Zusammenschluss. Daran gab es schon damals Kritik. Der Basler Missionsinspektor Würz brachte es auf den Punkt: Der DEMA sei „nicht die Spitze oder das Ministerium des Missionsparlaments, sondern eine Vertrauensinstanz der selbständig nebeneinander stehenden Gesellschaften“. Er fragte: „Wo gibt es eine Missionsinstanz, die angesichts der vielen gegenwärtigen Fragen und Wünsche der Missionskreise zum Handeln berechtigt oder berufen sei? Sie fehlt bei der gegenwärtigen Struktur des Missionslebens und widerspricht der Eigenart derselben.“

„Zur Stärkung der Einigkeit im Geiste“

Dass man eine Vertretung bei der IMR-Gründung noch einstimmig abgelehnt hatte, erwies sich schon bald als Fehler, denn ohne den IMR war die ersehnte Rückkehr in die alten Missionsgebiete nicht möglich. Dazu bedurfte es eines breiter legitimierten Ansprechpartners. Den zu schaffen, gelang am 10./11. Oktober 1922 in Bethel mit der Gründung des „Deutschen Evangelischen Missionsbunds“ (DEMB) – einer „Vereinigung evangelischer Missionsgesellschaften zur Stärkung der Einigkeit im Geiste und Pflege persönlicher Beziehungen, zur Verhandlung und Förderung wichtiger gemeinsamer Fragen und Aufgaben und zur Wahrnehmung gemeinsamer Interessen“.

Die zeitliche Koinzidenz ist auffallend: Nur etwa zwei Wochen vorher (17. – 22. September 1922) hatten zwei Delegierte des DEMA „auf dringende Einladung“ an der Sitzung des IMR in London teilgenommen – das „tiefe Leid“ vom März 1921 war anscheinend überwunden. Sie konnten „zu ihrer Befriedigung feststellen, dass bei allen Führern des britischen Missionslebens Bereitwilligkeit war, über die Rückgabe deutscher Missionsfelder in christlichem Geist zu verhandeln.“

Mit der Gründung des DEMB gab es erstmals eine verbindliche Struktur der evangelischen Missionen: Der DEMB hatte jährlich eine Vertreterversammlung abzuhalten, und alle vier Jahre war als Geschäftsführung des DEMB ein „Deutscher Evangelischer Missionsausschuss“ (DEMA) mit sieben bis neun Mitgliedern zu wählen. Er hatte „den Bundesmitgliedern zur Förderung ihrer Gemeinschaft und ihres Zusammenwirkens zu dienen und sie zu vertreten. Er hat die Pflicht, ihnen in schwieriger Lage Rat und Hilfe anzubieten.“

Zwar verzichtete man auf die Rechtsform eines eingetragenen Vereins, dafür wurde die nun verbindlichere Zusammenarbeit gemeinsam durch Beiträge der Mitglieder finanziert. Große Gesellschaften (Basel, Barmen und Berlin) sollten 60 Mark im Monat zahlen, Hermannsburg und Herrnhut 40 Mark, die übrigen je 20 Mark. Das erste Jahresbudget wurde mit 6.900 Mark festgelegt, bestimmt in erster Linie für die Unterhaltung des Büros und Reisekosten, Postanschrift war bis 1947 Tübingen, Wohnsitz des Vorsitzenden Martin Schlunk, Professor für Missionswissenschaft an der dortigen Universität.

Mehr Kooperation – eine Zeitenwende

Für die deutsche evangelische Mission war die DEMB-Gründung eine Zeitenwende. Denn bis dahin hatte das halbe Hundert der Missionsgesellschaften intensiv das jeweilige Eigenleben gepflegt und in Abgrenzung zu den anderen versucht, Profil und Unterstützer*innen zu gewinnen. Missionsgesellschaften – das wird heute oft vergessen – waren Vereine neben (und manchmal auch, was die Inhalte betraf, gegen) die jeweiligen Landeskirchen.

Es wäre jedoch übertrieben, die Gründung des Missionsbundes als den ganz großen Durchbruch zu werten. Dem stand schon der zweite Satz von § 1 der Satzung entgegen: „Seine Arbeit soll die Selbständigkeit und Verantwortlichkeit der einzelnen Gesellschaften in keiner Weise einschränken.“ Der DEMB war das damals Mögliche, zustande gekommen durch den Druck der historischen Bedingungen.

Die Zusammenarbeit im DEMB führte in den folgenden Jahren zu einer Annäherung der Missionsgesellschaften, insbesondere durch die Arbeit in gemeinsamen Gremien. Parallel dazu näherte sich die protestantische Missionsbewegung den Kirchen an. Das hatte zunächst ganz praktische Gründe, wenn etwa die Missionen die Strukturen der Institution Kirche nutzen konnten und die eigenen Finanzmittel dadurch entlastet wurden, dass Mitarbeitende der Mission in kirchlichen Dienst gestellt oder an kirchliche Versorgungskassen angeschlossen wurden. Das wurde mit der Weltwirtschaftskrise gegen Ende der 1930er Jahre immer wichtiger, denn die Spendeneinnahmen der Missionen gingen spürbar zurück.

Auf die Wirtschaftskrise folgte eine politische Krise: Denn im Oktober 1933, nur neun Monate nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, wollten die nazi-freundlichen „Deutschen Christen“ die Missionsgesellschaften unter die zentrale Lenkung ihrer „Deutschen Evangelischen Kirche“ übernehmen. Jetzt bewährten sich die elf Jahre Zusammenarbeit unter dem Dach des DEMB, denn diese Machtergreifung konnten die Missionsgesellschaften abwehren.

Wie ihnen das gelang, und weshalb dies kein endgültiger Sieg gegen die braunen Bataillone in der evangelischen Kirche war, das wäre ein ganz neues Thema.

Martin Keiper war bis 2017 Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der EMW. Im Ruhestand arbeitet er freiberuflich als Buch- und Zeitschriftengestalter.

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