Botschafter aus einer anderen Welt

Wie können wir heute mit dem Ergebnis der Sammelwut von Ethnolog*innen oder Missionar*innen umgehen, die seit Ende des 19. Jahrhunderts ungezählte Zeugnisse indigener Religion und Kultur in „Völkerkundemuseen“ oder „Missionssammlungen“ brachten? Diese Frage beleuchtet die von der Evangelischen Mission Weltweit (EMW) mitveranstaltete Tagung „Raub, Restitution, Repräsentation“ vom 22. bis 23. Mai 2023 an der Missionsakademie an der Universität Hamburg aus der Sicht von Ethnolog*innen, Historiker*innen und Theolog*innen aus Deutschland und Afrika.

Durch die Anordnung in Museen wird häufig der koloniale Blick reproduziert. © Foto: Reno Laithienne/unsplash | Durch die Anordnung in Museen wird häufig der koloniale Blick reproduziert.

Wenn eine Person eine Reise in ein fernes Land unternimmt, bringt sie zuweilen ein Souvenir mit, um die Erinnerung an das Erlebte irgendwie vorzeigbar zu machen. Das Souvenir erscheint als eine unproblematische Praxis des Tourismus. Es ist aber heute unbestritten, dass es verwerflich ist, Gegenstände aus der Kultur eines Gastlandes ungefragt mitzunehmen. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn man diese Objekte über einen längeren Zeitraum Zuhause ausgestellt und Freund*innen gezeigt hätte. Allerdings wurden bis vor Kurzem mit einer ähnlichen Begründung Rückgabeforderungen aus Herkunftskulturen abgelehnt.

Inzwischen ist neue Bewegung in die Debatte gekommen. Ethnologische Sammlungen werden heute immer auch als Ergebnis kolonialer Weltbemächtigung verstanden. Die frühe Moderne spiegelte sich in der Fremdheit „primitiver Kulturen“ als überlegene Zivilisation. Daher fanden auch Völkerschauen in Zoologischen Gärten, etwa bei Hagenbeck, statt. Neben der fremden Kultur wurde die „ungezähmte Natur“ als Gegenbild zur Bestärkung eigener Überlegenheit und man nannte fremde Kulturen „Naturvölker“. Zugleich wirkten die afrikanischen oder pazifischen Artefakte produktiv in Kunst oder Wissenschaft der 1920er Jahre. So lässt sich Freuds Schrift „Totem und Tabu“ oder der Expressionismus oder Kubismus nicht verstehen ohne die kreative Aneignung außereuropäischer Religion und Kunst. Auch die Soziologie und Religionswissenschaft zehrte von Kenntnissen der Ethnologie. Diesen unterschiedlichen Wirkungen gilt es nachzugehen, um die Bedeutung der Artefakte zu würdigen. So wird deutlich, dass die Ausstellungsgegenstände wertvolle Botschafter einer vorkolonialen Welt sind, die es so nicht mehr gibt, aber uns und den Herkunftsgesellschaften weiterhin Wichtiges zu sagen hat. Wie können wir sie aber neu zum Sprechen bringen?

Befreiung vom kolonialen Blick

Zunächst gilt es, die gezeigten Gegenstände von dem kolonialen Blick zu befreien, der sich oftmals an Bildunterschriften oder der Anordnung der Ausstellung ablesen lässt. Es gilt auch den Kontext transparent zu machen, aus dem sie entnommen wurden und die Umstände, auf welche Weise sie an den jetzigen Ort gelangt sind. Ihre reiche Bedeutungsgeschichte kann als Zeugnis der vorkolonialen Religion, Politik oder Kunst ebenso repräsentiert werden wie ihre Instrumentalisierung durch die koloniale Welt.

Eine andere Frage ist die nach der besten Verfahrensweise bei der Rückgabe von Objekten. Die Bundesregierung hat sich bekanntlich bereit erklärt, die im Besitz deutscher Museen befindlichen Exponate der Benin-Bronzen zum Teil zurückzugeben. Allerdings wurde daraufhin gegen diese Rückgabe in New York Klage eingereicht, da die Bronzen nicht an die Nachfahren ehemaliger Profiteure des Sklavenhandels zurückgegeben werden sollten. Die zur Herstellung der Benins-Skulpturen verwendeten Bronzeringe seien Bezahlwährungen der Sklavenhändler gewesen. Dieses Beispiel zeigt exemplarisch, dass vor der Entscheidung, an wen die Objekte zurückzugeben werden sollten, eine intensive Provenienzforschung treten muss. Diese kann aber nur im Dialog mit Angehörigen der jeweiligen Herkunftskultur erfolgen. Auch hierbei gilt es, Brüche in der Geschichte ernst zu nehmen und keine idealisierte Geschichte zu essentialisieren.

Die Provenienzfrage ist für Sammlungen in Missionsmuseen nicht immer leicht zu beantworten. So sind etwa nicht alle Kirchen interessiert an einer Rückgabe der Gegenstände in ihre Herkunftskultur, da sie sich nicht mehr mit diesem Teil ihrer Geschichte, der zumeist in vorchristlicher Zeit liegt, identifizieren können. So hat die Lutherische Kirche in Papua-Neuguinea bislang kein Interesse an dem Angebot des Bayrischen Missionswerks (Mission EineWelt) gezeigt, die in Neuendettelsau gesammelten Zeugnisse der vorchristlichen Religion wieder zurückzunehmen. Zu stark identifiziert man sich mit der vor langer Zeit vollzogenen Konversion zum Christentum, als dass man die damit verworfenen Zeremonialgegenstände oder Tanzmasken der indigenen Religiosität im eigenen Land zurückhaben oder gar für museumstauglich erachten würde. Zuweilen wird in anderen Kontexten wie Westafrika eine Rückführung sakraler Gegenstände aus europäischen Museen in neu zu errichtenden Museen als unpassend empfunden. Vielmehr wird ihre Wiederherstellung als Gebrauchsgegenstand gefordert, der nur durch eine Rückgabe in diejenigen Gemeinschaften ermöglicht würde, die diese Gegenstände beispielsweise wieder als heilige Objekte einsetzen würden. Damit drohte aber die Gefahr, dass nicht mehr nachvollziehbar wäre, wo die Gegenstände verbleiben würden.

Interkulturelle Neubewertung ist nötig

Wie lässt sich also ermöglichen, dass die wertvollen Erbstücke einer vorkolonialen Welt an die richtigen Adressat*innen zurückgegeben werden und nicht verloren gehen? Diese Fragen können nur angemessen bearbeitet werden, wenn berücksichtig wird, dass es sowohl bei der Rückgabe als auch Neukonzeption von Ausstellungen um ein Beziehungsgeschehen geht, das von einer mehrdimensionalen Aushandlung unterschiedlicher Bedeutungszuschreibungen ausgehen sollte. Dabei kann es sich als produktiv erweisen, wenn ein Dialog auch zwischen unterschiedlichen Akteur*innen in der heutigen Herkunftsgesellschaft ermöglicht würde, etwa zwischen Christ*innen und Angehörigen von indigenen Religionen. Nur durch eine interkulturelle Neubewertung der musealisierten Sakralgegenstände lässt sich verhindern, dass der Gewaltkontext aus dem heraus sie nach Europa kamen, nicht erneut reproduziert wird.

Deutlich wird die Bedeutung einer lebendigen Beziehungsdimension bei der Rückgabe von Schädeln und Skeletten, die aus rassistischen Motiven von der damaligen Forschung archiviert wurden, aber nun in würdevoller Weise zurückgeführt werden wollen. Eindrückliche Beisetzungszeremonien zeigen, etwa bei den Maori in Neuseeland, wie wichtig es ist, die Rückgabe der Museumsbestände sorgfältig im Vorfeld zu kommunizieren und sie mit den Betroffenen gemeinsam zu planen. Umgekehrt zeigt die Segnungszeremonie eines Ahnenhauses aus Neuseeland durch Maori in Hamburg, dass es auch sein kann, dass ein Objekt als Bote einer anderen Kultur vor Ort verbleiben kann.

Anders als zur Zeit des Aufbaus der heutigen Sammlungen darf das Leitmotiv nicht mehr die Rettung der Zeugnisse einer „primitiven Kultur“ vor dem Ansturm der überlegenen Moderne sein. Vielmehr sollten wir sie als Botschafter einer anderen Welt sehen, die uns Wichtiges zu sagen haben und in neuer Weise zusammenführen könnten.

Anton Knuth


Veranstaltungs-Tipp:

Die internationale Tagung „Raub, Restitution, Repräsentation. Wie gehen wir mit (Prä-) Kolonialen
Artefakten in unseren Museen und Sammlungen um?“ will die aktuelle Restitutionsdebatte, in der sich Themen zum Umgang mit dem kolonialen Erbe bündeln, aufgreifen. Wie können die Objekte von ihrem „kolonialen Blick“ befreit und auf dem Hintergrund ihrer Geschichte neu präsentiert werden? Sollen die musealisierten Gegenstände in ihren Ursprungskontext zurückgeführt oder als Zeugen einer verflochtenen Geschichte neu ausgestellt und bewertet werden? Diese und ähnliche Fragen werden aus der Sicht von Ethnolog*innen, Historiker*innen und Theolog*innen aus Deutschland und Afrika beleuchtet. Achtung: Verlängerter Anmeldeschluss bis zum 15.05.2023.

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