Einheit und Versöhnung Raum geben

„Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“ – Das war das Thema der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Etwa 4.000 Gäste und Delegierte aus rund 120 Ländern haben sich vom 31. August bis 8. September in Karlsruhe getroffen, um gemeinsam ihren Glauben zu feiern, sich zu begegnen, voneinander zu lernen, zu diskutieren und Antworten zu finden auf die drängenden Fragen unserer Zeit. Mit dabei war auch Dr. Judith Königsdörfer, EMW-Vorstandsmitglied und Referentin für Partnerschaftsarbeit und Ökumenisches Lernen bei der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.

Die täglichen Morgengebete gehörten nicht nur für Judith Königsdörfer zu den besonderen Momenten der ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe. © Foto: Corinna Waltz/EMW | Die täglichen Morgengebete gehörten nicht nur für Judith Königsdörfer zu den besonderen Momenten der ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe.

Die 11. ÖRK-Vollversammlung ist vorbei. Was waren für Sie Höhepunkte des Treffens?

Einer meiner Höhepunkte war ganz klar die Gemeinschaft mit Christ*innen aus aller Welt! Wieder miteinander unterwegs zu sein und in einer starken Gemeinschaft zusammen zu sein, gibt unglaublich Kraft für den weiteren Weg. Und auch die Gottesdienste und Morgengebete, die hervorragend vorbereitet und durchgeführt waren und die Herzen und Füße in Bewegung gesetzt haben. Oft war zu hören: Ohne Morgengebet fehlt mir etwas für den Tag, so schwungvoll ging es zu.

Ein großer Gewinn war die Möglichkeit, Vertreter*innen aus ukrainischen Kirchen mit am Tisch zu haben, ebenso Delegierte aus Russland. Dass dies möglich war, ist der intensiven Bemühungen des ÖRK in den letzten Monaten zu verdanken.

Bei den verabschiedeten Dokumenten ist die Erklärung zur Einheit zu nennen, die auf eine Ökumene der Herzen setzt und u. a. betont, sich bewusst auch Menschen außerhalb der kirchlichen Komfortzone zuzuwenden und kooperativer zu arbeiten.

Gab es auch Enttäuschungen?

Auf jeden Fall. Viele Themen sind ja in der Arbeit des ÖRK nicht neu: Trotz aller Dekaden und Appelle gibt es immer noch Gewalt gegen Frauen, massive Umweltzerstörung, die Verletzung von Menschenrechten und eine himmelschreiende Ungerechtigkeit weltweit. Da muss man schon sehr hoffnungsfroh sein, dass sich Dinge doch noch zum Guten wenden können.

Ein weiteres dauerpräsentes Thema sind beispielsweise die Quoten. Die Repräsentanz bestimmter Gruppen im Zentralausschuss gelingt bei Weitem nicht zufriedenstellend. Da ist trotz aller Zielvorstellungen noch sehr viel zu tun

Dr. Judith Königsdörfer ist Referentin für Partnerschaftsarbeit und Ökumenisches Lernen bei der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland © Foto: Corinna Waltz/EMW | Dr. Judith Königsdörfer ist Referentin für Partnerschaftsarbeit und Ökumenisches Lernen bei der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

Zwischen der 10. Vollversammlung in Busan und der 11. Vollversammlung in Karlsruhe haben Sie im ÖRK als Mitglied des Zentralausschusses mitgearbeitet. Mit welchem Fazit blicken Sie auf diese Jahre zurück?

Mit großer Dankbarkeit für alle Erfahrungen, die ich dort machen durfte. Eine derartige Gemeinschaft erleben und mitgestalten zu können, ist nicht selbstverständlich – was ich aber jedem Menschen wünschen würde. Dass so eine Gemeinschaft miteinander sein und funktionieren kann, grenzt schon an ein Wunder.

Froh bin ich auch über die Erfahrung einer Diskussions- und Entscheidungsfindungskultur, die nicht auf bloße Mehrheiten und die lauteste Stimme setzt. Jede Stimme wird gehört, jeder Person wird zugehört, egal ob Bischof*in oder Lai*in, junger oder alter Mensch, Nord oder Süd.

Gleichzeitig ist mir auch bewusst geworden, wie mühsam errungen oft gemeinsame Entscheidungen sind und welche intensiven Diskussionen hinter einzelnen Worten stecken. Das dringt ja selten nach außen durch.

Beim Thema Inklusion gibt es noch ordentlich Verbesserungsbedarf: Oft sind Strukturen und Entscheidungen nicht eindeutig, Übersetzungen kommen zu spät oder gar nicht, verschiedene Arten der Kommunikation können noch ausgebaut werden. Aber auch hier handelt es sich ja um einen Lernprozess.

Die letzten Jahre waren zudem maßgeblich geprägt vom Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens. Bis dieser in allen Kirchen ankam, hat es eine Weil gedauert, und es ist gut, dass man nun am Motiv des Pilgerns festhalten möchte. Letztendlich ist ja die ökumenische Gemeinschaft genau das: ein wanderndes Gottesvolk, dass sich mit den jeweiligen Kontexten auseinandersetzt. Als Gemeinden und Gemeinschaften können wir da viel lernen. Ganz im Sinne der Suche nach der zukünftigen Stadt.

Nun wurde ein neuer Zentralausschuss gewählt. Was wünschen Sie den neuen Mitgliedern des ÖRK-Leitungsgremiums?

Mut, Beharrlichkeit, Barmherzigkeit; ein sehendes Auge und ein weites Herz für jedes noch so eigene Gegenüber. Ein Gespür für die Arbeit des Hauses, dem zentralen Büro in Genf, sowie den Moderator*innen und Präsident*innen, die einen nicht unerheblichen Teil ihres Lebens für die Arbeit des Weltkirchenrates hergeben. Und natürlich Liebe für die weltweite ökumenische Arbeit.

Welche Aufgaben sehen Sie für den ÖRK in den kommenden Jahren?

Ich sehe eine zentrale Aufgabe im Ausbau der Kooperationen mit bewährten wie neuen Organisationen und Akteur*innen. Mehr als einmal wurde betont, wie wichtig mehr Miteinander mit weiteren „Menschen guten Willens“ ist. Globale Aufgaben können nur gemeinsam bewältigt werden. Sicher wird der ÖRK auch mehr in seiner vermittelnden Rolle als verlässlicher Partner und als Plattform für Begegnung zwischen verfeindeten Parteien gefragt sein. Leider, muss man sagen.

Wie drückte es ein Mitarbeiter aus Genf aus? In Sachen Krisen handelt es sich leider um einen wachsenden Markt.

Wo und wie können Kirchen und Christ*innen in Deutschland daran mitarbeiten und sich beteiligen?

Jede Kirche, jede Gemeinde, jeder interessierte Mensch kann sich an der Arbeit des ÖRK beteiligen. Das beginnt schon bei der bloßen Wahrnehmung der Prozesse und Beschlüsse des Kirchenbündnisses. Oder sie laden jemanden ein, der an einer Vollversammlung teilgenommen hat und lassen sich inspirieren.

Sich als Teil einer weltweiten Gemeinschaft zu verstehen, bietet große Vernetzungsmöglichkeiten auch zu Organisationen und Gruppen, die anderen Glaubens oder gar nicht religiös sind. Es ist so bereichernd, mit anderen zu diskutieren und zu erörtern, was es für uns heißen kann, pilgernd unterwegs zu sein und Einheit und Versöhnung Raum geben zu wollen.

Das Interview führte Corinna Waltz.

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Zur Person

Dr. Judith Königsdörfer ist Referentin für Partnerschaftsarbeit und Ökumenisches Lernen bei der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Sie vertritt das Leipziger Missionswerk in der Evangelischen Mission Weltweit (EMW) und ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Dach- und Fachverbands.

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