Erklärt: Ökumenische Streitkultur

Ökumene bedeutet für die weltweite christliche Kirche trotz Unterschiedlichkeit, Einigkeit und Einheit zu finden. Das ist in manchen Fragen schwieriger als in anderen. Warum aber auch das Wie hierbei eine so große Rolle spielt, erklärt Theologe und EMW-Referent Eckhard Zemmrich.

© Foto: Matt Walsh/unsplash

Das Christentum hat sich in den zweitausend Jahren seines Bestehens weltweit in ganz verschiedenen Ausprägungen und Kirchen verbreitet. Aber überall bekennen sich trotz dieser globalen Unterschiedlichkeit Christ*innen dazu, dass die kirchliche Vielfalt im letzten Grunde eine Einheit bildet. Am deutlichsten wird das an einem Bild, das Paulus im Neuen Testament in einem seiner Briefe verwendet: Er spricht dort mit Blick auf die unterschiedlichen Gemeinden von den vielen Gliedern, die aber gemeinsam den einen „Leib Christi“ bilden (1. Korintherbrief 12,12-27). Es gibt also eine geglaubte Einheit der Kirche, die auch in der Vielfalt der Kirchen glaubwürdig Verwirklichung finden muss. Solche Einheit ergibt sich nicht von selbst.

Denn obwohl sich alle christlichen Kirchen auf die Bibel beziehen, leben sie doch alle auch in verschiedenen Kontexten und Kulturen, sowohl historisch als auch geographisch, aber auch sozial, also in verschiedenen Milieus und Machtkonstellationen. Diese verschiedenen Kontexte und Kulturen prägen jeweils auch das Lesen der biblischen Texte, so dass es viele verschiedene Leseverständnisse gibt, die sich entsprechend in unterschiedlichen Theologien ausdrücken und in dem, was in biblischen Texten für besonders wichtig und beachtenswert gehalten wird. So gibt es verschiedene Ansichten darüber, wer welche kirchlichen Ämter übernehmen darf. Auch der Umgang mit menschlicher Sexualität hat in der weltweiten Kirche voneinander abweichende Prägungen erhalten. Oder es wird die Frage nach dem „irdischen“ Wohlergehen verschieden bewertet – entweder als Zeichen göttlichen Segens und daher als erstrebenswert, oder etwa als Ausdruck eines Anhaftens am Irdischen und deshalb als kritisch zu beurteilen.

Kirchen leben nicht voneinander isoliert, sie sind vielmehr untereinander weltweit vernetzt, etwa in Konfessionen, Kirchenbünden oder in kirchlichen Partnerschaften. Wenn Kirchen nun zum einen viele verschiedene Ausprägungen haben, zum anderen miteinander in Beziehungen stehen und so eine geglaubte Einheit bilden, die auch glaubwürdig sein soll: Wie weit können voneinander abweichende Meinungen einfach nebeneinander stehenbleiben? Oder bei welchen Fragen müssen wir auch miteinander streiten, weil die Überzeugungen sich derart beißen, dass man sie nicht einfach nebeneinander stehenlassen kann? Das ist etwa bei der Frage nach der Ordination von Frauen so.

Wenn es also Fragen gibt, bei denen Kirchen, um einer glaubwürdigen Einheit willen, das Gespräch miteinander suchen müssen, dann ist eine Folgefrage davon: Wie wollen und können wir über Fragen streiten, welche ökumenische Streitkultur brauchen wir, ohne in Muster der Vergangenheit zurückzufallen, bei der etwa ganz selbstverständlich europäische Auffassungen zur weltweiten Norm erhoben wurden? Und wie müssen wir streiten, ohne neue hierarchische oder diskriminierende Muster aufzubauen? Kurz: Wie können wir notwendige theologische Aushandlungsprozesse fair gestalten? Eine ökumenische Streitkultur heute muss sich also sowohl mit theologischen Themen, als auch mit Verfahren und Theorien beschäftigen. Ihre Entwicklung steht noch am Anfang.

Eckhard Zemmrich ist Theologischer Referent in der EMW-Geschäftsstelle.

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