„Hört unsere Schreie und schaut hin!“

Die Nachrichten in Deutschland sind seit Monaten gefüllt mit Bildern von Krieg und Gewalt. Aus der Demokratischen Republik Kongo sind diese Bilder doch selten, obwohl auch dort ein Krieg wütet. Rechtsanwalt Willy Masaka und Theologe Eale Bosela aus der Demokratischen Republik Kongo fordern die Weltgemeinschaft auf: Hört unsere Schreie und schaut hin! Im Interview beleuchten sie die Hintergründe des Konflikts und sprechen über ihre Hoffnung auf Frieden und welche Rolle die Kirchen dabei spielen können.

Frauen und Kinder fliehen vor dem Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo. © Foto: MONUSCO/Sylvain Liechti | Frauen und Kinder fliehen vor dem Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo.

Wie ist die Lage in der Demokratischen Republik Kongo?

Eale Bosela: Die Lage in der Demokratischen Republik Kongo ist alles andere als gut. Grund dafür ist der Krieg im Ostkongo, der von einer Gruppe geführt wird, die von der Regierung der Demokratischen Republik Kongo als terroristisch bezeichnet wird. Die besagte Gruppe wird von der ruandischen Armee unterstützt.

Willy Masaka: Währenddessen ist die Lage in der Hauptstadt Kinshasa relativ ruhig. Aber auch hier spürt man die Spannungen mit Ruanda wegen der Unterstützung für die bewaffneten Gruppen. Diese Unterstützung Ruandas erscheint als Aggression, da die Motive Ruandas im Wesentlichen wirtschaftlicher Natur sind. Hierbei geht es um die Kontrolle von Ressourcen und die systematische Plünderung des Landes, wie auch verschiedene Berichte internationaler Organisationen belegt haben.

Was beunruhigt Sie am meisten?

Willy Masaka: Was uns heute am meisten Sorgen bereitet, ist die Stabilität und Sicherheit des östlichen Teils unseres Landes. Dieser Teil des Landes hat seit 1998 bis heute unter den Kriegen unserer Nachbarn und bewaffneten Gruppen gelitten. Es gab mehr als zehn Millionen Tote und dieser Teil des Landes gehört weltweit zu den Orten, mit den meisten Vergewaltigungen von Frauen und Minderjährigen. Die Mobilisierung unseres Volkes im ganzen Land zur Unterstützung unserer Streitkräfte zeigt, dass es ein Bedürfnis nach Frieden und Entwicklung in unserem Land gibt. Der derzeitige Präsident der Republik kämpft für dieses Ziel der Stabilität, Sicherheit und positiven Entwicklung unseres Landes.

Eale Bosela: Was mich am meisten beunruhigt, ist die hohe Zahl der Vertriebenen, darunter viele Kinder, die den Kontakt zu ihren Eltern verloren haben. Die Menschen leben jetzt ohne Unterkunft, ohne Nahrung und ohne jegliche Hilfe. Auch die Ermordung von Einheimischen und die brennenden Dörfer sind besorgniserregend.

Prof. Dr. Eale Bosela Ekakhol war bis vor Kurzem Direktor für Frieden, Diakonie und Entwicklungsprogramme der Allafrikanischen Kirchenkonferenz. © Foto: Corinna Waltz/EMW | Prof. Dr. Eale Bosela Ekakhol war bis vor Kurzem Direktor für Frieden, Diakonie und Entwicklungsprogramme der Allafrikanischen Kirchenkonferenz.

Was hat die Gewalt ausgelöst und welche Ereignisse haben zur aktuellen Situation geführt?

Eale Bosela: Die Gewalt im Ostkongo wird durch eine Vielzahl von bewaffneten Gruppen ausgelöst, es sind über hundert. Ihr Ziel ist die Ausbeutung wertvoller Mineralien. Multinationale Unternehmen durchqueren Ruanda, um die natürlichen Ressourcen der DRK illegal auszubeuten. Für dieses lukrative Geschäft, dessen Zentrum sich in Kigali befindet, werden bewaffnete Gruppen eingesetzt.

Willy Masaka: Der Auslöser für die aktuelle Gewalt war hauptsächlich der vom Staatspräsidenten verhängte Belagerungszustand. Er blockierte sogar den Mineralienhandel zwischen den bewaffneten Gruppen und unseren Nachbarn, vor allem Ruanda, dessen wirtschaftliche Entwicklung stark von den Ressourcen meines Landes DRK abhängt. Dieser Belagerungszustand hat alle Manöver unserer Nachbarn bei der Ausplünderung unserer Ressourcen aufgedeckt.

Eale Bosela: Die M23 sind eine Gruppe, die sich hauptsächlich aus Menschen aus Ruanda (Tutsi) zusammensetzt, die sich in der Demokratischen Republik Kongo niedergelassen haben und von Ruanda unterstützt werden. Sie behaupten, eine ethnische Minderheit in der Demokratischen Republik Kongo zu sein. Das ist jedoch keine Rechtfertigung, denn in der Demokratischen Republik Kongo gibt es über 400 ethnische Gruppen, und es gibt viele ethnische Gruppen, die kleiner sind als die Tutsi. In der Armee der Demokratischen Republik Kongo gibt es keine ethnische Gruppe, die mehr Armeeoffiziere hat als die Tutsi. Dennoch sind die M23 nicht zufrieden und wollen immer mehr Macht erlangen. So haben sie den Krieg als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ansprüche beschlossen.

Willy Masaka Tshiteya ist Rechtsanwalt und Mitglied in vielen kirchlichen Kommissionen rund um die Themen Frieden und Jugend. © Foto: privat | Willy Masaka Tshiteya ist Rechtsanwalt und Mitglied in vielen kirchlichen Kommissionen rund um die Themen Frieden und Jugend.

Willy Masaka: Es ist paradox, dass Ruanda durch die M23 eine Feindseligkeit befeuert, um die Instabilität im östlichen Teil der DR Kongo aufrechtzuerhalten, von der es profitiert.

Die Medien in Deutschland vergleichen die aktuelle Situation mit dem Völkermord in Ruanda 1994. Ist das Ihrer Meinung nach eine richtige Einschätzung?

Eale Bosela: Meiner Meinung nach ist die Lage im Ostkongo noch schlimmer als der Völkermord in Ruanda. Beim Völkermord in Ruanda wurden etwa 700.000 bis 800.000 Menschen getötet. Aber im Kongo sprechen verschiedene Quellen von über 10 Millionen Toten in einem Zeitraum von 20 Jahren. Und die Welt hat geschwiegen, als ob nichts geschehen wäre.

Willy Masaka: Ich teile diese Einschätzung auch nicht. Der ruandische Völkermord von 1994 ist eine Frage der Innenpolitik Ruandas, zwischen zwei Völkern im Land. Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass dieser Völkermord die Grundlage für die Unsicherheit ist, die die DRK heute erlebt. Denn aufgrund der Gastfreundschaft des Landes bei der Aufnahme der ruandischen Flüchtlinge wurde der Konflikt in unser Land importiert. Heute wird der Kongo aufgrund seiner Ressourcen von Ruanda und seinen Partnern ausgebeutet.

Welche Chancen sehen Sie für eine friedliche Lösung des Konflikts? Und welche Schritte sind notwendig?

Eale Bosela: Ruanda wird von den Großmächten der Welt geschätzt und unterstützt. Die Entwicklung Ruandas erfolgt auf Kosten des Blutes des kongolesischen Volkes. Ruanda ist „Protegé“ einiger westlicher Länder. Diese westlichen Länder sollten ihren „Schützling“ zur Ordnung rufen und Ruanda mit Sanktionen belegen. Der Kongo ist von neun Ländern umgeben – Probleme gibt es aber nur mit Ruanda.

Willy Masaka: Für eine friedliche Lösung des Konflikts heute muss man Ruanda auffordern, den Kongo zu verlassen. Genauer: Die M23 müssen das kongolesische Territorium verlassen. Das kongolesische Volk ist aufgebracht und bei dem aktuellen Stand der Mobilisierung unseres Volkes, sehe ich keine Chance, dass Ruanda in diesem neuen Krieg gewinnt. Unser Volk war noch nie in seiner Geschichte so bereit, einen Krieg zu akzeptieren, wie es derzeit der Fall ist. Notwendige Schritte sind Ruandas Eingeständnis, dass es bewaffnete Gruppen unterstützt und Verhandlungen über die Herausforderungen der gemeinsamen Nutzung grenzüberschreitender Ressourcen. Außerdem braucht es noch die Möglichkeit einer Zusammenarbeit bei der Entwicklung zweier Länder und der Länder der Subregion.

Welche Rolle können die Kirchen bei den Bemühungen um Frieden spielen?

Willy Masaka: Die Kirchen können die Rolle der Mediation und der Förderung einer Kultur des Friedens zwischen den Völkern zweier Länder übernehmen, da die neue Gewalt sich auf zwei Völker zu konzentrieren scheint. Auch können Kirchen eine prophetische Rolle spielen, indem sie den Opfern der verschiedenen Kriege durch ganzheitliche Begleitung Hoffnung geben.

Eale Bosela: Das Problem liegt in der Anziehungskraft der natürlichen Ressourcen im Ostkongo auf Ruanda und multinationale Unternehmen. Die Kirchen sollten zur Lösung des Konflikts im Kongo beitragen, indem sie sich dafür einsetzen, die Ursache des Konflikts, also die illegale Ausbeutung der kongolesischen Ressourcen durch multinationale Unternehmen, zu beenden. Die Kirchen, vor allem in den westlichen Ländern, müssen sich offensiv für den Kongo einsetzen, damit die multinationalen Unternehmen aufhören, Ruanda und bewaffnete Gruppen im Ostkongo zu instrumentalisieren.

Was ist Ihre Hoffnung für die Zukunft?

Willy Masaka: Es ist wichtig, Frieden zu finden. Andernfalls wird es zu Instabilität in der ganzen Subregion kommen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kongo den Launen Ruandas noch länger nachgibt.

Eale Bosela: Für die Zukunft hoffe ich auf Frieden in der Region der Großen Seen. Ich wünsche mir Respekt und Würde in allem menschlichen Leben. Ich hoffe, dass die Kongoles*innen ihr von Gott geschenktes Leben genießen können. Ich wünsche mir, dass die Menschen in Ruanda und im Kongo in Harmonie leben, so wie es im Kongo und in den anderen Nachbarländern der Fall ist.

Das Interview führten Christiane Ehrengruber und Corinna Waltz.


Zur Person

Willy Masaka Tshiteya ist Rechtsanwalt und Mitglied in vielen kirchlichen Kommissionen rund um die Themen Frieden und Jugend. Außerdem ist er Mitglied des Exekutivausschusses der World Student Christian Federation.

Prof. Dr. Eale Bosela Ekakhol war bis vor Kurzem Direktor für Frieden, Diakonie und Entwicklungsprogramme der Allafrikanischen Kirchenkonferenz (AACC) in Nairobi. An der Universität von Südafrika hat er in Theologischer Ethik promoviert und war dort als Associate Professor tätig.

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