Kenia wählt – hoffentlich friedlich

In Kenia stehen am 9. August Präsidentschaftswahlen an. Vergangene Wahlen in dem ostafrikanischen Land waren meist umstritten und häufig mit Gewalt verbunden. David Tarus, Direktor der Vereinigung für christlich-theologische Ausbildung in Afrika (ACTEA), blickt mit Sorge, aber auch voll Hoffnung auf die bevorstehenden Wahlen in seinem Heimatland.

Am 9. August stehen in Kenia Präsidentschaftswahlen an. Hoffentlich verlaufen die Wahlen, anders als 2017, in diesem Jahr friedlich. © Foto: Nicholas Gray/unsplash | Am 9. August stehen in Kenia Präsidentschaftswahlen an. Hoffentlich verlaufen die Wahlen, anders als 2017, in diesem Jahr friedlich.

In Kenia finden in den kommenden Tagen Wahlen statt. Wie ist die Situation im Vorfeld?

In Kenia gab es schon immer schwierige Wahlen, was vor allem an den ethnischen Spaltungen liegt. Politiker*innen machen sich die ethnische Zugehörigkeit zunutze, um Stimmen zu gewinnen oder die Macht zu behalten. Aufgrund dieser Spaltungen kommt es alle fünf Jahre zu Konflikten – unmittelbar vor und nach den Parlamentswahlen. Kurz vor den Wahlen kommt es meist in verschiedenen Regionen zu ethnisch motivierten Gewaltausbrüchen. Die Nationale Kommission für Zusammenhalt und Integration (NCIC), ein gesetzlich verankertes Gremium zur Förderung des nationalen Zusammenhalts, macht Politiker*innen aufgrund ihrer Reden für diese Gewalt verantwortlich. Anfang April 2022 gab die NCIC eine Erklärung ab, in der sie bestimmte Wörter und Sätze, die den Hass zwischen den kenianischen Gemeinschaften schüren, von Wahlkampfveranstaltungen und sozialen Medien verbannte. Trotzdem verwenden einige Politiker*innen immer noch einige dieser Wörter.

Was erhoffen Sie sich von den Wahlen? Über welche Probleme machen Sie sich Sorgen?

Ich hoffe auf eine friedliche Wahl und einen reibungslosen Übergang. Ich hoffe, dass es keine Gewalt im Land gibt. Ich hoffe, dass die Kenianer*innen sich gegenseitig feiern und nicht durch ethnische Zugehörigkeiten gespalten werden. Ich hoffe auf ein Ende der Gier und eine Umarmung des Patriotismus. Ich wünsche mir ein Kenia, in dem jede*r zählt. Ich hoffe, dass die Verschwendung von Menschenleben durch Polizei und Verbrecherkartelle ein Ende hat. Ich hoffe auf ein Kenia, in dem die Führung moralische Werte hat und sich um das kenianische Volk kümmert. Ich mache mir Sorgen über Korruption und ethnische Spaltungen und hoffe, dass dies ein Ende hat, damit Kenia vorankommt.

David Tarus ist Direktor der Vereinigung für christlich-theologische Ausbildung in Afrika (ACTEA). © Foto: Corinna Waltz/EMW | David Tarus ist Direktor der Vereinigung für christlich-theologische Ausbildung in Afrika (ACTEA).

In Ihrer Doktorarbeit haben Sie sich mit der christlichen Friedensförderung in Kenia beschäftigt. Welche Rolle spielt die Religion in Ihrem Land im Allgemeinen und speziell bei den bevorstehenden Wahlen?

Religion spielt eine Schlüsselrolle für gesellschaftspolitisches Engagement und Verantwortlichkeit. Die Kirche war zum Beispiel in den 70er, 80er und 90er Jahren führend bei der Einbindung des Staates in verschiedene Angelegenheiten. Es war die Kirche, die den Präsidenten in den frühen 90er Jahren dazu brachte, die Mehrparteiendemokratie zuzulassen. Die protestantischen Kirchen, einzelne Bischöfe und der Nationale Kirchenrat von Kenia spielten die Rolle der Opposition, da es keine aktive Oppositionspartei gab. Von einigen Ausnahmen abgesehen, hielten sich die evangelischen Kirchen von sozialem Engagement fern, weil sie dazu neigten, das Evangelium von sozialem Handeln zu trennen. Die Kirche muss ihr aktives soziales Engagement fortsetzen, vor allem im Hinblick auf politische Prozesse. Sie muss den Staat in die Pflicht nehmen. Sie muss Ungerechtigkeit, Spaltungen, Korruption und andere soziale Missstände anprangern. Sie muss das menschliche Wohlergehen in allen Lebensbereichen fördern. Die Kirche sollte ihre Mitglieder auch zu einer verantwortungsvollen Staatsbürger*innenschaft erziehen.

Wie kann die Kirche zu einer friedlichen und demokratischen Wahl beitragen?

Die Kirche kann eine wichtige Rolle bei der Förderung friedlicher und demokratischer Wahlen in Kenia spielen. Sie kann dies auf vielerlei Weise tun. Erstens muss sie ihre Mitglieder zu einer verantwortungsvollen Staatsbürger*innenschaft erziehen und sie ermutigen, die richtige Art von Führungspersönlichkeiten zu wählen. Das bedeutet, dass sie über Führungsqualitäten unterrichten muss. Zweitens muss die Kirche ihre Mitglieder zu moralischen Werten und Charakterbildung erziehen und anleiten. Dies wird sicherstellen, dass Christ*innen nach einem anderen Wertesystem leben und Salz und Licht in der Welt sind. Drittens muss die Kirche, insbesondere die oberste Leitung (z. B. die Vereinigung der Evangelikalen, der Nationale Kirchenrat von Kenia), als Wächter über die Gesellschaft fungieren. Sie sollte eine aktive Rolle bei der Förderung von Demokratie und friedlichen Wahlen spielen. Sie sollte fordern, dass sie am Wahltag als Beobachterin einbezogen wird. Sie sollte ihre Stimme erheben, wenn der Prozess nicht frei, fair und überprüfbar ist.

Vor welchen Herausforderungen steht Kenia derzeit?

Laut einer nationalen Ethik- und Korruptions-Studie im Jahr 2017 ist die Korruption das größte Problem in Kenia. Die anderen Probleme sind Armut, Arbeitslosigkeit, ungünstige wirtschaftliche Bedingungen und politische Instabilität. Die Kenianer*innen verlieren Milliarden aufgrund von Korruption. Wir leben in wirtschaftlich sehr schwierigen Zeiten. Viele Menschen in Kenia können sich keine Lebensmittel leisten. In der Landwirtschaft können die Kosten für Dünger und andere Betriebsmittel nicht mehr finanziert werden. Die Preise für Lebensmittel sind zu teuer. Einigen Unternehmen geht es nicht gut, auch weil sich die Wirtschaft noch nicht von den Auswirkungen von Covid-19 erholt hat. Die Jugend hat keine Arbeit. Und trotzdem haben wir eine politische Klasse, die keinen Bezug zur Realität zu haben scheint.

Was ist Ihre Hoffnung für die Zukunft?

Meine Hoffnung für die Zukunft liegt in der aktiven Beteiligung der Kirche am öffentlichen Zeugnis. Die Kirche begreift langsam, dass sie eine aktive Rolle im Land spielen muss. Sogar die evangelikalen Kirchen, angeführt von der Association of Evangelicals in Africa (AEA), engagieren sich inzwischen im öffentlichen Raum. So hat die AEA kürzlich ein interreligiöses Forum mit dem Titel Msafara wa Upendo (Karawane des Friedens) veranstaltet, um Frieden und Koexistenz zu fördern. Ich sehe auch Hoffnung in den einfachen Kenianer*innen, die aktive Bürger*innen sind. Sie fordern die Politiker*innen auf, Verantwortung zu übernehmen. Es gibt viele Aktivitäten in den sozialen Medien, Poesie (sowohl gesprochene Worte als auch Straßenpoesie) und Musik. Es gibt in der Tat Hoffnung für Kenia.

Das Interview führte Corinna Waltz.


Zur Person

David Tarus ist Direktor der Vereinigung für christlich-theologische Ausbildung in Afrika (ACTEA). Er promovierte in Theologie an der McMaster University in Kanada und beschäftigte sich mit christlicher Friedensarbeit in Kenia. In seiner Dissertation stellte er eine afrikanische reformierte Theologie des ethnischen Zusammenhalts für Kenia vor, wo nach den gewaltsamen Wahlen im Dezember 2007 1.300 Menschen starben und weitere 600.000 vertrieben wurden.

© Foto: Reuters
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