Kunst, die Hoffnung schafft

Die taiwanische Illustratorin Hui-Wen Hsiao hat das Titelbild für den Weltgebetstag 2023 entworfen – und das nicht auf einer Leinwand, sondern auf Tablet und Computer. Mit dem Weltgebetstag verbindet sie auch die Hoffnung, dass Menschen überall auf der Welt mehr über Taiwan und seine Situation erfahren.

Hui-Wen Hsiao hat das Titelbild für den WGT 2023 gestaltet. © Foto: Corinna Waltz/EMW | Hui-Wen Hsiao hat das Titelbild für den WGT 2023 gestaltet.

So ganz geheuer ist ihr die ganze Aufmerksamkeit nicht. Porträts, Filme, Interviews, Vortragsanfragen … Seit Hui-Wen Hsiao das Titelbild für den Weltgebetstag 2023 gestaltet hat, ist ihr Kunstwerk und damit auch sie selbst in den Fokus der Vorbereitungen und der Berichterstattung gerückt. Das Bild für den Weltgebetstag (WGT) mit dem Schwerpunkt Taiwan entworfen zu haben, ist für sie eine große Ehre. Aber die Aufmerksamkeit ist auch eine Herausforderung für die 28-jährige Taiwanerin. Denn sie ist eigentlich eher schüchtern.

Hui-Wen Hsiao wollte schon als Schülerin Künstlerin werden. © Foto: privat | Hui-Wen Hsiao wollte schon als Schülerin Künstlerin werden.

Hui-Wen Hsiao drückt sich vor allem über ihre Kunst aus. Daher war es für sie schon früh klar, dass sie auch beruflich in diese Richtung gehen wollte. Als sie dann noch als Schülerin 2011 mit ihrem Beitrag als eine der Preisträger*innen mit dem Preis der Jury beim nationalen Schüler*innen-Bilderbuch-Preis in Taiwan ausgezeichnet wurde, bestärkte sie das in dem Wunsch Illustratorin zu werden. Im August 2013 beginnt sie ihr Studium an der Kun Shan University im Fachbereich Kommunikationsdesign in ihrer Heimatstadt Tainan.

Tainan liegt im Südwesten der Insel und gilt als älteste Stadt Taiwans. Hier wurde Hui-Wen Hsiao am 2. August 1993 geboren. Hinein in eine multireligiöse Familie. Ihre Verwandten und die Menschen um sie herum folgen alle unterschiedlichen in Taiwan traditionellen Religionen wie Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus oder sind schlicht Atheist*innen. Ihre Großmutter etwa ist Taoistin. Ihre Mutter jedoch ist Christin. Genau wie Hui-Wen Hsiao. Damit gehören Mutter und Tochter in Taiwan einer Minderheit an. Denn in Taiwan sind nur etwa sechs Prozent der Menschen Christ*innen.

„Die Multireligiösität Taiwans ist eine Chance für den christlichen Glauben“

Doch gerade darin sieht Hui-Wen Hsiao auch eine Gelegenheit: „Die Menschen in Taiwan sind offen. Durch die multireligiöse Situation haben sie zudem die Chance, unterschiedliche Religionen in ihrem täglichen Leben miteinander zu vergleichen. Und das ist eine große Möglichkeit für den christlichen Glauben, denn der hat viel zu bieten.“ Das hat sie auch schon ganz praktisch erlebt, wenn ihre eigentlich taoistische Großmutter mit Hui-Wen gemeinsam betet und darüber Frieden findet. Es ist für Hui-Wen ein großer Wunsch, dass ihre Freunde und Familie auch Christ*innen werden. Und sie hofft, dass der Weltgebetstag 2023, für den sie das Kunstwerk geschaffen hat, vielleicht ein wenig dazu beitragen kann.

© Foto: WGT Titelbild 2023/wdpic

Dabei hätte sie selbst gar nicht unbedingt ein Bild für den WGT 2023 eingereicht. Aber die Herausgeberin eines Frauenmagazins, für das sie seit ihrem Bachelor-Abschluss im Juni 2017 als Illustratorin arbeitet, ermutigt Hui-Wen Hsiao, sich mit einem Entwurf zu bewerben. Und dieser Entwurf überzeugt das WGT-Komitee. Die symbolischen Elemente darin, genauso wie deren künstlerische Umsetzung. Die Schmetterlingsorchideen symbolisieren den Stolz Taiwans, der Mikado-Fasan, der in der rauen Umgebung der taiwanischen Bergregion beheimatet ist und in wunderbarer Schönheit überlebt, der Schwarzgesichtslöffler, der lange Flugstrecken auf sich nimmt, um in Taiwan zu überwintern, sowie das unverwüstliche Gras symbolisieren Zuversicht und Durchhaltewillen der Taiwaner*innen. Die Frauen wiederum, die beten oder auf das Licht am dunklen Himmel schauen, sind Sinnbild der starken Frauen Taiwans, die Hui-Wen in ihrem Alltag umgeben. Als letztes Symbol verspricht der dunkle Himmel, aus dem dennoch Licht scheint, die Rettung durch Jesus Christus.

Es ist ein in manchen Teilen düsteres Bild, das Hui-Wen Hsiao gemalt hat, aber es ist dennoch voller Hoffnung. Und genau diese Hoffnung und Frieden in Gott möchte Hui-Wen mit ihrem Bild vermitteln. Denn wie heilsam Kunst wirken kann, hat sie selbst schon erlebt. Hui-Wen verliert ihren Vater früh. Sie ist erst zehn Jahre alt. Damals kann sie den Verlust nicht bewusst verarbeiten. Als sie nach einem Thema für ihre Bachelor-Abschlussarbeit sucht, kommt ihr der Gedanke, einen kurzen Animationsfilm über ihre Familie zu machen. Und mit dieser Idee beginnt auch die Auseinandersetzung mit ihrem Vater, der gemeinsam erlebten Zeit und seinem Tod. Sie erlebt, wie das Erschaffen von Kunst ihr hilft, seinen Tod endlich zu verarbeiten. Dadurch entsteht in ihr der Wunsch, über das therapeutische Potenzial der Kunst mehr zu erfahren, um auch anderen Menschen damit helfen zu können.

Große Unterstützung und auch Ermahnung

Hui-Wen Hsiao wird von ihrer Mutter unterstützt. © Foto: privat | Hui-Wen Hsiao wird von ihrer Mutter unterstützt.

Aber in Taiwan sind die Möglichkeiten sehr begrenzt, was eine Ausbildung in Richtung Kunsttherapie betrifft. Hui-Wen Hsiao beginnt, über ein Studium im Ausland nachzudenken. Als ihre Mutter arbeitstechnisch einige Zeit in Deutschland verbringt und ihr Arbeitgeber Deutschland als Ausbildungsort sehr empfiehlt (solides Bildungssystem, gute Lebensbedingungen, relativ überschaubare Kosten im Vergleich zu Großbritannien oder den Vereinigten Staaten), schlägt die Mutter der Tochter vor, für die Ausbildung nach Deutschland zu gehen.

Zunächst ist sich Hui-Wen Hsiao unsicher. Kann sie wirklich so viel Neues in einer nochmal völlig neuen Sprache lernen? Oder ist die Herausforderung zu groß? Wieder ist es ihre Mutter, die sie ermutigt, neue Herausforderungen anzunehmen, die Welt zu erleben und das, was sie lernt zu nutzen, um anderen zu helfen. „Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, an einen Ort zu ziehen, den er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme.“ Diese Bibelstelle aus Hebräer 11,8, die ihr selbst schon oft Mut gemacht hat, gibt sie ihrer Tochter Hui-Wen mit auf den Weg. Und dann noch eine dringende Ermahnung, das eigene Glaubens- und Gemeindeleben auch in Deutschland auf keinen Fall zu vernachlässigen.

Im Oktober 2019 beginnt Hui-Wen Hsiao ihr Master-Studium in Intermedialer Kunsttherapie in Hamburg. Und sucht sich eine Mandarin-sprachige christliche Gemeinde, die sie seitdem regelmäßig besucht. Ihr Glaube und auch ihre Gemeinde geben ihr viel Kraft, wenngleich es durch die besondere politische Lage zwischen Taiwan und Festland-China Themen gibt, die dort lieber ausgespart bleiben.

„Wir haben euch so viel zu geben“

Hui-Wen Hsiao gestaltet Bilder auf dem Tablet. © Foto: Corinna Waltz/EMW | Hui-Wen Hsiao gestaltet Bilder auf dem Tablet.

Seit März 2022 hat sie ihren Master-Abschluss. Ihr Traum, Kunst und Therapie zu verbinden, um Menschen zu helfen, kann wahr werden. Wie und wo es zukünftig für sie weitergeht, wird sich aber auch danach richten, wo sie mit ihrer neuen Qualifikation eine Arbeitsstelle findet. Vielleicht wird ihr Weg sie zurück nach Taiwan führen. Dieses Land, das im Selbstverständnis der dort lebenden Menschen unabhängig und das doch offiziell kein eigenständiges Land ist. Dieses Land, das sie sehr liebt. Taiwan ist ihr „Mutterland“, wie sie selbst sagt.

Wenn 2023 Taiwan das Schwerpunktland des Weltgebetstags ist, erhofft sie sich auch, dass Menschen überall auf der Welt mehr über Taiwan und seine Situation erfahren: „Wir fühlen uns eigenständig und wollen auf unsere eigene Weise leben.“ Aber sie ist sich auch sicher: „Wir haben euch so viel zu geben.“ Und wie kann ihr Kunstwerk für den WGT dazu beitragen? „Ich möchte, dass die Betrachtenden fühlen, dass es immer Hoffnung gibt, dass Gott unsere Gebete erhört und es sich lohnt, am Glauben festzuhalten.“ Und als sie das sagt, ist Hui-Wen Hsiao gar nicht mehr schüchtern, denn ihre Kunst und vor allem ihr Glaube geben ihr die Kraft, zuversichtlich in ihre eigene Zukunft, aber auch die ihrer Heimat zu blicken.

Tanja Stünckel


Filmtipp: Kurzporträt zu Hui-Wen Hsiao

Lernen Sie Hui-Wen Hsiao im Video-Porträt kennen und erfahren Sie mehr über ihr Kunstwerk zum Weltgebetstag der Frauen 2023.

zum Video


Zeitschrift „EineWelt“ EineWelt, Heft 3/2022

Taiwan

Taiwan wird Weltgebetstagsland 2023. Aber zählt Taiwan tatsächlich als Land? Es kommt darauf an, wen man fragt. Für die meisten Taiwaner*innen gibt es daran keinen Zweifel. Über den Alltag in Taiwan und die bewegte Geschichte der Insel im Westpazifik berichten die Autorinnen unserer aktuellen Ausgabe.

Außerdem: Weg aus der Diktatur: »Wir wollten Freiheit« – WGT 2023: Porträt über das Titelbild und seine Macherin – Tansania: Interview über Chancen und Rechte für Frauen

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