Lese-Tipp: Apeirogon

Autor Colum McCann bezeichnet „Apeirogon“ als Hybrid-Roman. Denn in ihm vermischt er die wahre Geschichte eines Palästinensers und eines Israelis, die sich gemeinsam für den Frieden einsetzen, mit eigener seiner Imagination entspringenden Fiktion. Gottfried Kraatz hat das Buch für uns gelesen.

Colum McCann: Apeirogon. Rowohlt Verlag. ISBN: 978-3-499-27187-8 Colum McCann: Apeirogon. Rowohlt Verlag. ISBN: 978-3-499-27187-8

„Die Hügel von Jerusalem schwimmen im Nebel.“ So beginnt der Roman „Apeirogon“ von dem irisch-amerikanischen Autor Colum McCann. Der Nebel wird gelüftet und es wird allmählich ein weites Panorama sichtbar: von Landschaften und Menschen, Historie und Gegenwart. In tausend Kapiteln, fünfhundert aufwärts und nochmal fünfhundert abwärts gezählt, entsteht wie ein orientalischer Teppich ein buntes Bild des Landes zwischen Mittelmeer und Jordan. Eine Geschichte zieht sich durch diese Kapitel; sie wird auf diesem Hintergrund entfaltet und sie zeichnet den Grundkonflikt nach: von Gewalt und Leid und Hoffnung und Liebe in Israel und in dem von Israel besetzten Palästina.

So in das große Bild des Landes verwebt erzählt der Autor die Geschichte von zwei Vätern und zwei Töchtern. Die Töchter sind gewaltsam umgekommen: Smadar, die 13-jährige Israelin, bei einem palästinensischen Terroranschlag und Abir, die 10-jährige Palästinenserin, durch eine willkürlich auf sie abgeschossene, Gummi-ummantelte Kugel eines israelischen Soldaten. Wie die Väter Rami und Bassam mit ihrem Schmerz und ihrer Wut umgehen, wie sie sich treffen, wie sie ihre Trauer in ein Versöhnungsprojekt einbringen, Freunde werden und miteinander dieses Projekt unterstützen – das erzählt der Autor. Und so findet die Geschichte des Konflikts zwischen Israelis und Palästinenser*innen eine Perspektive auf eine mögliche gemeinsame Zukunft für dieses schöne Land.

Ich wusste von diesem Buch vor seinem Erscheinen, weil Rami, der Vater von Smadar, mir davon erzählt hatte. Er hatte an diesem Abend gemeinsam mit dem Bruder der erschossenen Abir vor einer Gruppe aus England über die Arbeit der Organisation „Parents Circle“ gesprochen. Und er hatte mir danach von dem Plan für dieses Buch erzählt. Ich verabschiedete mich von ihm vor dem Hotel in der Altstadt von Jerusalem und sah ihm nach, wie er auf seinem Motorrad davon fuhr, so, wie ihn Colum McCann in dem Buch mit dem Motorrad durch das Land fahren sieht. Wer also öfter in diesem Land ist, wird vieles in diesem Buch wiedererkennen. Wer das Land liebt, wird in dieser schmerzlichen Liebe bestärkt werden. Wer mit den Menschen auf beiden Seiten zu tun hatte, wird dem Autor Recht geben, der diese Menschen so liebevoll in das Land und seine Geschichte einbindet.

Es ist ein poetisches und zugleich politisches Buch. „Apeirogon“ – das ist ein Viel-Eck mit unzähligen Ecken und Kanten. Und man braucht einen weiten Blick und viel Licht, um dieses Vieleck zu erkennen. Der letzte Satz heißt: „Die Hügel von Jericho schwimmen in Dunkelheit.“

Gottfried Kraatz

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