Lese-Tipp: Hongkong – Umkämpfte Metropole

Einst ein kleines Fischerdorf ist Hongkong heute eine Mega-Stadt. Klaus Mühlhahn und Julia Haes betrachten die Geschichte Hongkongs in ihrem Buch „Hongkong: Umkämpfte Metropole: Von 1841 bis heute“ genau und legen versiert und mit viel Fachkenntnis auch Geschehnisse und Zusammenhänge dar, die in Europa kaum bekannt sind. Freddy Dutz hat das Buch für uns gelesen.

Klaus Mühlhahn/Julia Haes: Hongkong: Umkämpfte Metropole: Von 1841 bis heute, Verlag Herder, ISBN 978-3-451-39973-2 Klaus Mühlhahn/Julia Haes: Hongkong: Umkämpfte Metropole: Von 1841 bis heute, Verlag Herder, ISBN 978-3-451-39973-2

„Duftender Hafen“ war der Name des verkehrsgünstigen Hafens am Rand des großen chinesischen Reiches in der „alten“ Zeit, „Perle des Orients“ nannten die imperialistischen Brit*innen die Stadt, die sich aus einem unbekannten Fischerdorf zur Mega-Stadt Hongkong entwickelte. Zwischen der Erstbesiedelung vor 5000 Jahren und heute liegen vor allem in den letzten 200 Jahren Entwicklungen und Geschehnisse, die ein Journalist als „Paradox“ beschrieben hat. Die Geschichte der Stadt sei „ … eine Unwahrscheinlichkeit, fast eine Unmöglichkeit“.

Als im 3. vorchristlichen Jahrhundert Truppen der ersten chinesischen Dynastie einmarschierten, lebten an der Mündung des Perlflusses wenige Menschen, Fischer*innen und Perlentaucher*innen, die im Austausch mit den Festlandbewohner*innen standen. Im 7. Jahrhundert wanderten Flüchtlinge aus dem Norden ein, und mit ihnen begann die Landwirtschaft. Noch war die Gegend dünn besiedelt, was von Schmuggelbanden ausgenutzt wurde, die dort ihren „illegalen Geschäften nachgingen“, wie Klaus Mühlhahn und Julia Haes in ihrem sehr gut lesbaren Buch „Hongkong – Umkämpfte Metropole“ schreiben. Um die Region zu sichern, in der in den folgenden Jahrhunderten florierende Gesellschaften entstanden, errichtete die Ming-Dynastie Ende des 14. Jahrhunderts Befestigungen, die 1540 ausgebaut wurden. In dieser Zeit kamen auch die ersten Europäer*innen nach Asien: 1517 war die portugiesische Flotte gelandet und 1699 die britische Ostindien-Kompanie.

Beeindruckende Waren, fremde Gebräuche und Religionen

In Europa fand man die Waren, die aus Asien exportiert wurden, beeindruckend und kulturverändernd: Seide, Möbel, Perlen, Porzellan aus dem Kaiserreich und anderen Regionen Asiens beeinflussten das Leben auf der anderen Seite des Globus. Und die Kirche atmete auf, dass ab dem 17. Jahrhundert wieder Missionare in das Land der Mitte gelassen wurden. Dort sei es geradezu märchenhaft: unendliche Weiten, fremde Gebräuche und Religionen und Philosophien, die einerseits beeindruckten und andererseits, weil ja „heidnisch“, abstießen.

Als 1841 britisches Militär auf dem Hong Kong Island landete, wohnten dort mehr als 7000 Menschen, die sich vom Fischfang oder der Landwirtschaft ernährten unterschiedlicher Herkunft – viele aus dem Norden Chinas – und weitere 2000 Menschen, die auf Booten lebten und aus anderen südostasiatischen Regionen stammten; heute sind es annähernd 7,5 Millionen.

Das von Mühlhahn und Haes vorgelegte Buch setzt 1841 mit einer genaueren Betrachtung der Geschichte Hongkongs ein. Interessant ist die Darlegung inner-chinesischer Entwicklungen, die weder damals noch heute in Europa zur Kenntnis genommen wurden bzw. werden. Gleiches ist über die europäischen Engagements in der Region zu sagen: War im 19. Jahrhundert Asien „weit weg“ und höchstens in akademischen Kreisen thematisiert, so blieb auch nach 1945 China vom Westen aus gesehen unscharf, vor allem durch eine anti-kommunistische Brille gesehen. Selbst in Großbritannien diskutierte kaum jemand die Expansion der Kolonialmacht. Und über Japans Imperialismus wird – abgesehen von der Bombardierung des US-amerikanischen Pearl Harbours – im deutschen Geschichtsunterricht weitgehend geschwiegen.

Die Widersprüchlichkeit der politischen Entscheider*innen

Dieses Buch wurde von zwei ausgewiesenen Fachleuten, dem Professor für Sinologie, Klaus Mühlhahn, und der Wirtschaftswissenschaftlerin Julia Haes, geschrieben. Im Mittelpunkt der Erörterungen stehen vor allem wirtschaftliche Aspekte im Bezug zu europäischen Märkten. Dabei sind britische Marktteilnehmer besonders im Fokus, die in der „Besatzungszeit“ bis 1997 vor allem von den „kleinen Leuten“, aber auch von den ortsansässigen Unternehmen und Tycoons, als Imperialisten gesehen wurden. Auch und obwohl es den meisten besser ging, als wären sie in Festland-China geblieben und dorthin zurückgegangen.

Immer wieder kam es in der Kolonialgeschichte zu Protesten, denn demokratische Bemühungen wurden im Keim erstickt: In Führungspositionen waren Briten – allen voran der Gouverneur – und einige wenige Hongkonger. Erst als kurz vor der Übergabe demokratische Lockerungen umgesetzt werden sollten, gab es Proteste. Diesmal aus Bejing.

Durch die Geschichte, die in dem Buch betrachtet wird, zieht sich als roter Faden die Widersprüchlichkeit der politischen Entscheider*innen: Obwohl z.B. allen Beteiligten – alles „gute“ Christ*innen – klar war, welche Folgen der Opiumhandel auf die Menschen in China – wo die Droge verboten war – haben musste, wurde Opium via Hongkong eingeschmuggelt, um China zu schwächen. Die Opfer des Opiumhandels bezahlten die Landgewinne auf englischer Seite: Der südliche Teil von Kowloon wurde per Konvention britisch und 1898 kamen die New Territories für 99 Jahre zum Königreich.

Hongkong als gegenseitger Spionage-Horchposten

Auch nach dem Ende der letzten kaiserlichen Dynastie gab es weiter Proteste und Streiks, denn die sehr schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen der wachsenden Arbeiterschaft blieben bestehen. Die Weltwirtschaftskrise betraf auch die vielen kleinen Fabriken in Hongkong. Proteste auf dem Festland, die sich 1925 von Shanghai ausgehend auch in den Süden verbreiteten, endeten in einem Generalstreik, nachdem anti-imperialistische Demonstrant*innen auf dem Festland erschossen worden waren.

Japan setze seinen Eroberungsfeldzug auf dem asiatischen Festland fort, überrumpelte die Briten und besetze 1941 Hongkong. Zwar war das Intermezzo vier Jahre später beendet, aber die Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, die Kronkolonie zurückzugeben, wurde gestellt. Da weder die USA noch der Westen die Briten drängte, nutzten nun alle die Möglichkeit, dicht am Feind einen Brückenkopf und Horchposten zu haben. Im Ernstfall wäre die Stadt militärisch nicht zu verteidigen gewesen, doch auch China schien froh über den Status Quo: Und nutze die Möglichkeiten den Westen auszuspionieren, hohe Summen an Devisen in und mit der Stadt zu erwirtschaften und ein Fenster zum Klassenfeind geöffnet zu halten. Die Stadt hatte sich zum wichtigen Produktions- und Handelsstandort und Verkehrsknoten entwickelt und der Turbokapitalismus, gepaart mit der (un)demokratischen Führung der Stadt, produzierte eine gefährliche Gemengelage.

Und wieder wurde Hongkong Ziel für anti-kommunistische Flüchtlinge aus dem Norden. Gleichzeitig gab es kaum Diskussionen darüber, was nach einer möglichen Rückführung geschehen würde. Die Stadt blieb gespalten, auch wenn die laissez-faire-Politik Wohlstand brachte. Aber es schmerzte die Bewohner*innen, nicht an Entscheidungen beteiligt zu sein. Weitgehend unbemerkt blieben in Europa die Proteste im Mai 1967. Waffen aus China hatten ihren Weg zu gewaltbereiten Protestierenden gefunden, die sie auch einsetzen. Die Kolonial-Regierung antwortete mit Gewalt: 51 getötete Menschen und 800 Verletzte und ein Vertrauensverlust waren die Folge.

Eher theoretische Parole: „Ein Land, zwei Systeme“

Nach langwierigen Verhandlungen zwischen Großbritannien und China – aber ohne Mitwirkung der Hongkonger Bürger*innen – wurde die Rückgabe der Kronkolonie organisiert und umgesetzt. „Ein Land, zwei Systeme“ hieß nun die eher theoretische Parole. Ein eigens entwickeltes Grundgesetz sollte die Rechte schützen. Doch kurz vor Abschluss der Verhandlungen rüttelte ein Ereignis die Welt auf: 1989 war in China eine Demokratisierungswelle entstanden, die in viele Städte schwappte, denn die Kommunistische Partei stand Reformbemühungen im Weg. Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Beijing stellten sich Bürger*innen der Armee in den Weg, um Demonstrierende zu schützen. Die Bilanz der gewaltsamen Räumung: 2600 Tote und rund 7000 Verletzte waren zu beklagen. Das Vertrauen in Beijings Versprechungen sei „schlagartig zerstört worden“, schreiben Mühlhahn und Haes. Und der demokratische Widerstand in Hongkong erwachte.

Seither wächst die Zahl der Proteste gegen einen harten Kurs der chinesischen Regierung. Gesetze werden verschärft, Intellektuelle und Aktivist*innen verhaftet. Mühlhahn und Haes glauben nicht, dass sich die Menschen Freiheiten vorenthalten lassen, auch wenn China eine Demokratie nach westlichem Vorbild ablehne. Aber sie vermuten, dass sich die Ausnahmestadt Hongkong „in das größere Schicksals China auflösen“ wird.

Freddy Dutz

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