Syrien: Nicht am Boden zerstört

Viele Menschen flüchten aus Syrien, doch manche kommen zurück, um denen, die geblieben sind, die Heimat zu erhalten. Eine von ihnen ist die Pastorin Mathilde Sabbagh.

Pastorin Mathilde Sabbagh beim Gottesdienst in ihrer Heimatgemeinde im syrischen Hassakeh. © Foto: privat | Pastorin Mathilde Sabbagh beim Gottesdienst in ihrer Heimatgemeinde im syrischen Hassakeh.

Besonders begeistert war die Gemeinde, von der nur noch wenige ältere Personen übrig waren, nicht, als die junge Frau, frisch von der Universität im Libanon, 2016 ihre Pastorin wurde. Doch ihr Vorgänger war geflüchtet, und so wurde Mathilde Sabbagh, die aus einer alteingesessenen, angesehenen Familie stammt, ohne Ordination – es gab in mitten des Krieges im kurdischen Selbstverwaltungsgebiet Rojava in Syrien keine passende Gelegenheit – Pastorin der kleinen reformierten Gemeinde in ihrer Heimatstadt Hassakeh.

Die Region im Norden Syriens ist fruchtbar: „Es wurde Weizen, Obst und Gemüse angebaut“, erinnert sich Mathilde Sabbagh. Doch jetzt liege die Landwirtschaft danieder: „Wegen der unsicheren Lage trauen sich die Bauern nicht auf die Felder und zudem leiden wir unter einer großen Trockenheit“, berichtet die Pastorin. Und die Kriegsgefahr bleibt, „denn an den Ölvorkommen in der Region sind alle am Krieg Beteiligten interessiert.“ Sie hofft, dass die kurdische Seite ihren Autonomieanspruch durchsetzen kann. Dann würde zum Beispiel der Geldtransfer einfacher, auf den viele Familien angewiesen seien: „Sie haben kein Einkommen mehr und sind auf Geld der Verwandten, die jetzt im Ausland leben, angewiesen.“

Man hoffe auf Frieden und Stabilität, sagt sie in einem Telefon-Interview, das EMW-Referentin Dr. Almut Nothnagle mit ihr in den späten Abendstunden führen konnte, als es kurzzeitig Strom gab. „Wir wollen ein ‚normales‘ Leben, wo es Wasser und Energie, Lebensmittel und eine medizinische Versorgung gibt. Und Menschen von ihrer Hände Arbeit leben können.“

Die Rolle der Kirche sieht die Seelsorgerin, die sich jetzt per Fernstudium an der Theologischen Hochschule in Beirut weiterbildet, darin, „in Wort und Tat“ die Menschen zu trösten und zu unterstützen: 400 Familien erhalten täglich Lebensmittel, Schulmaterial für die Kinder und Hygieneartikel. Und für die Kinder und Jugendlichen, von denen viele ihre Eltern im Krieg verloren haben, oder die ohne sie geflohen sind, organisiert sie Kindergottesdienste, Bibelstunden und Jugendgruppen. Sie will die junge Generation nicht verloren geben und lädt zu einem „normalen“ Leben ein, in das auch Ausflüge, Partys, Computerkurse und Sport gehören. Und sie kommen gerne: Kinder aus der eigenen, aber auch anderen Kirchen. „Mit den Mädchen tanze ich gerne: Ich finde es schön, wenn sie sich zu diesen Gelegenheiten ‚fein‘ machen“, freut sich die optimistische Frau.

Doch manchmal kommt auch sie an ihre Grenzen: Als sie bei einem Hausbesuch feststellte, dass die Gastgeber ihren Kühlschrank verkaufen mussten, um Nahrung zu kaufen. Und als eines der sechs Geschwister versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. „Das hat in der Gemeinde einen Schock ausgelöst. In der Kindergruppe haben wir dann ein halbes Jahr darüber gesprochen, was es bedeutet, wenn jemand aus Verzweiflung nicht mehr leben will.“

Pastorin Mathilde Sabbagh will bleiben. Sie hat zusammen mit ihrem Mann eine Familie gegründet. Auf Facebook zeigt die junge Familie glückliche Momente. Ihren Optimismus haben die Menschen in Hassakeh nötig. „Kirche muss relevant für die Menschen sein“, betont sie. Für sie heißt das eben „zuerst die materiellen Nöte befriedigen.“ Und dann könne auch Gottesdienst gefeiert werden. Ganz so, wie es im 2. Korintherbrief heißt: „ … wir sind ratlos, aber nicht verzweifelt … zu Boden geworfen, aber nicht am Boden zerstört.“ (frdu)

EMW-Dossier EMW-Dossier Nr. 4/2021

„Arabischer Frühling“ 2021

Hoffnungsvoll hatte für viele Menschen 2011 der „Arabische Frühling“ begonnen, doch in manchen Regionen des Mittleren Osten wurde er zum „Winter“. Hunderttausende sind geflohen, darunter auch Christ*innen. Dadurch ergeben sich für ihre Kirchen neue Herausforderungen, aber auch kleine Lichtblicke.

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