Taiwan: Vergangenheit und Gegenwart

Die deutsche Journalistin Carina Rother lebt in Taiwan. Anlässlich des Weltgebetstags hat sie das Buch „Taiwan – Insel der Vielfalt“ geschrieben, das die EMW herausgegeben hat. Im Kurzinterview berichtet sie über die politische Vergangenheit und Gegenwart Taiwans.

Carina Rother ist Journalistin und lebt in Taiwan © Foto: privat | Carina Rother ist Journalistin und lebt in Taiwan
Viele Menschen wissen gar nicht, dass Taiwan auch eine Zeit unter der Kolonialherrschaft Japans stand. Können Sie uns etwas über die bewegte Geschichte Taiwans erzählen?

Taiwan wurde 1895 von Japan übernommen und stand 50 Jahre unter seiner Kolonialherrschaft. Taiwan war seine Musterkolonie. Diese Zeit wird von Taiwaner*innen nicht so negativ wahrgenommen, wie das imperiale Japan im Rest Asiens. Trotz Unterdrückung und Vertreibung wird die Zeit fast ein bisschen verklärt. Denn das, was danach kam, war für die taiwanische Bevölkerung viel traumatischer. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging Taiwan an die Republik China, die hatte sich in China gegründet, dort das Kaiserreich gestürzt und in der Republik China brach ein Bürgerkrieg zwischen den Kommunist*innen und den Nationalist*innen aus. Heute ist Taiwan offiziell die Republik China und das große Festland ist die Volksrepublik China. Das heißt, das Land hat sich gespalten und die damalige Regierung ist nach Taiwan ins Exil gegangen. Sie hat dort eine Kriegsrechtsdiktatur etabliert, mit dem Ziel das große China zurückzuerobern. Dieses Ereignis war eigentlich das traumatischere für die Taiwaner*innen und ist in der jüngeren Erinnerung viel präsenter. Denn die Menschen durften kein Taiwanisch mehr, sondern nur noch Hochchinesisch sprechen. Die Kriegsrechtdiktatur hatte sehr strenge Auflagen. Unter dem sogenannten „Weißen Terror“ wurden Systemfeinde verfolgt und unter Hausarrest gestellt. Es war ein richtiger Überwachungs- und Unrechtsstaat bis in die 1980er/90er Jahre, als sich in Taiwan dann eine friedliche Demokratisierung auf den Weg machte. Wenn sich Taiwaner*innen an eine traumatische Vergangenheit erinnern, dann eben an diese Kriegsrechtsdiktatur.

Inzwischen ist Taiwan eine Demokratie mit einer Frau an der Spitze. Sind die demokratischen Ideen grundsätzlich beim Volk angekommen?

Die Taiwaner*innen sind sehr lebendige Demokrat*innen. Es gibt sehr viele Demonstrationen, Diskussionen, Bildungsformate. Die Leute organisieren sich in zivilgesellschaftlichen Gruppen. Es ist eine sehr junge Demokratie. Sie ist nocht nicht ganz 30 Jahre alt und sie muss sich schon noch selber finden. Sie muss sich außerdem dem Ballast stellen, dass in der Diktaturzeit Generationen über Generationen aufgewachsen sind und indoktriniert wurden – und gleichzeitig zu dieser Zeit Taiwans großes Wirtschaftswachstum stattgefunden hat. Einige verklären also auch diese Zeit. Bis die Demokratie überall, in allen Gesellschaftsschichten angekommen ist, wird also noch etwas Zeit vergehen. Aber die jungen aufklärerischen Menschen sind sehr bereit, ihre Demokratie auch zu verteidigen und im Zweifel womöglich auch gegen China.

Taiwans Demokratie steht ja in dem Ruf, eine „Digitale Demokratie“ zu sein. Was muss man sich denn unter einer „Digitalen Demokratie“ vorstellen?

Digitale Demokratie ist ein Schlagwort, das Taiwan gern vor sich her trägt. Sehr berühmt geworden auch über Taiwans Grenzen hinaus ist die Digitalministerin Audrey Tang, die erste Transfrau in Taiwans Kabinett. Sie setzt auf radikale Transparenz, das heißt alle ihre Interviews, alle ihre Gespräche werden aufgezeichnet und ungeschnitten ins Netz gestellt. Und sie möchte generell den Input der Bürger*innen mit Hilfe des Internets beschleunigen und vereinfachen und auf diesem Wege einen schnelleren Austausch zwischen politischer Entscheidungsfindung und öffentlicher Meinung finden. Abgesehen davon hat Taiwan auch einige sehr aktive Hacker*innen-Kollektive, die öffentlich vorhandene Daten dafür nutzen, dass Menschen sehr schnell sehen können, wo sich ein*e Politiker*in verortet, welche Entscheidungen von ihr*ihm gefällt wurden. Die Hacker*innen sammeln also offiziell vorhandene Daten und fügen diese in sehr nützlichen Grafiken und Animationen zusammen, die dann für alle öffentlich zugänglich sind. Das meint eigentlich „Digitale Demokratie“.

Das Interview führte Freddy Dutz. Hören Sie das ganze Gespräch im EMW-Podcast „Zeit für Mission“ .


Zur Person

Seit 2016 lebt die Journalistin Carina Rother in Taiwan. Zuvor hat die gebürtige Regensburgerin in Göttingen, Peking und London Geschlechterforschung und Sinologie studiert. Sie ist Autorin des von der EMW herausgegebenen Buchs „Taiwan – Insel der Vielfalt“.

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