
Theologische Ausbildung
Die EMW unterstützt und begleitet im Auftrag ihrer Mitglieder ökumenisch-theologische Aus- und Fortbildung in Partnerkirchen weltweit.
Mehr ...Kirchen sind auf alle Ebenen ganzheitlich in Gottes Mission unterwegs: in den Kirchengemeinden, in den jeweiligen Gesellschaften und international. Dabei gehören Verkündigung, Gottesdienst feiern und Diakonie zusammen gedacht und auch international verantwortet. Auch eine kleine Kirche, wie die Estnische Evangelisch-Lutherische Kirche, spielt dabei ihre Rolle und blickt über den Tellerrand hinaus, erklärt die 45-jährige Ökumene-Expertin Anne Burghardt. Die estnische Pfarrerin ist die neugewählte Generalsekretärin des Lutherischen Weltbundes (LWB).
© Foto: LWB | Pfarrerin Anne Burghardt
Was bedeutet „Ökumene“ für eine LWB-Mitgliedskirche wie die Estnische Evangelisch-Lutherische Kirche (EELK)?
Die EELK gehört mit ihren etwa 180.000 Mitgliedern zu den kleineren Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB). Während vor dem Zweiten Weltkrieg noch über 80 Prozent der Bevölkerung Estlands Mitglieder in der lutherischen Kirche waren, gehört Estland heute zu den säkularisiertesten Ländern der Welt mit etwa 30 Prozent Christinnen und Christen. In dieser Zahl sind alle Konfessionen bereits eingerechnet.
In Estland selbst gibt es eine sehr gute und enge ökumenische Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kirchen. Die meisten von ihnen, inklusive der römisch-katholischen Kirche, gehören dem „Estnischen Rat der Kirchen“ an, der unter anderem für die Religionsprogramme in öffentlichen Medien zuständig ist. Sicherlich hat die Tatsache, dass während der sowjetischen Zeit alle Kirchen quasi in ein Nischendasein gedrängt worden waren, dabei eine Rolle gespielt, dass verschiedene Kirchen einander näher gekommen sind. Der äußere Druck wirkt ja oft als Zusammenhalt für diejenigen, die unterdrückt werden. In gewisser Hinsicht hat die Zeit der Unterdrückung geholfen zu verstehen, dass, wenn die (kirchen)politischen Interessen und Machtfragen beiseite gelassen werden und Jesus Christus in den Mittelpunkt gestellt wird, man sich auch als Christ*innen einander nähert.
Die ökumenische Arbeit der EELK findet aber auch auf internationaler Ebene statt. Sie ist für die EELK neben der Tatsache, dass man das Gebet Jesu, dass alle „eins seien“ (Joh 17,21), ernst zu nehmen versucht, auch deshalb wichtig, weil es einer kleineren Kirche wie der EELK hilft, eine gewisse Provinzialität zu vermeiden. Durch Themen, die in der internationalen Ökumene angefasst und angesprochen werden, erweitert sich auch der Horizont in den Kirchen vor Ort.
Als Mitglied der „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa – GEKE“ und der „Porvoo-Gemeinschaft“, zu der sich 13 europäische protestantische Kirchen zusammengeschlossen haben, hat die EELK durch die Arbeit unserer Theologinnen und Theologen in verschiedenen Arbeitsgruppen und Gremien auf europäischer Ebene mitwirken können. Das Gleiche gilt für die „Konferenz der Europäischen Kirchen – KEK“ und den „Ökumenischen Rat der Kirchen – ÖRK“. Ich selbst hatte in den letzten Jahren intensivere Kontakte zur KEK, da ich seit 2018 Mitglied des Leitungsgremiums der KEK bin; diese Verantwortung muss ich nun nach meiner Wahl zur LWB-Generalsekretärin leider abgeben. Es ist ein wenig schade, weil die nächste KEK-Vollversammlung im Jahre 2023 in Tallinn stattfinden soll und ich gerne bei der Planung und Organisation dabei gewesen wäre.
Welche Rolle spielt für Sie persönlich die internationale Ökumene? Was haben Sie gelernt im Kontakt, mit Christ*innen aus aller Welt?
Die internationale Ökumene bietet eine wunderbare Möglichkeit, sich der die ganze Welt umfassenden Dimension der Kirche als des Leibes Christi bewusster zu werden. Durch die internationalen Begegnungen erfährt man des öfteren den Sinn der Schriftstelle im Galaterbrief, die uns sagt, dass „hier“, d.h. in der Christengemeinde, „ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau,“ sondern alle sind eine® in Jesus Christus (Gal 3,28). Natürlich befinden wir uns dabei weiterhin in einer Welt, die noch nicht frei ist von der Sünde, d.h. vom Getrenntsein von Gott, was gelegentlich auch in den zwischenkirchlichen Beziehungen einen Abdruck hinterlässt. Es ist aber immer wieder wunderbar zu erfahren, auch im Kontext der ökumenischen Begegnungen, wie man sich dennoch durch Jesus Christus näher kommt, und die neue Schöpfung auch hier und jetzt durch Versöhnung, gegenseitige christliche Liebe und Mitgefühl sichtbar und erfahrbar wird.
Mein eigenes Blickfeld hat die internationale Ökumene sehr erweitert, und dafür bin ich äußerst dankbar. Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie das jeweilige kulturelle und gesellschaftliche Umfeld die Kirche beeinflusst, wie aber umgekehrt die Kirchen, das Evangelium verkündigend, oft einige kulturell bedingte Traditionen hinterfragen und dadurch eine prophetische Stimme in die Gesellschaft bringen. Einige Kirchen sind darin natürlich expliziter als andere. Ebenfalls ist es bemerkenswert zu sehen, wie feinfühlig an vielen Orten die Worte und Taten Jesu Christi so in den jeweiligen Kontext „übersetzt“ worden sind, dass sie die Menschen vor Ort erreichen. Dabei ist zu beachten, dass Ideen und Annäherungsweisen, die in einem Kontext gut funktionieren, in einem anderen eventuell überhaupt nicht Fuß fassen können. Nichtsdestotrotz können die Impulse, die den unterschiedlichen Ansätzen zugrundeliegen, auch universell angebracht sein, und diesen Impuls sollte man nicht missachten. Man soll nur ganz genau überlegen, wie man sie in einem konkreten Umfeld „übersetzt“.
Welche „Mission“ haben Kirchen in Ihren Augen in der heutigen Zeit?
Ich habe bereits in meiner Vorstellungsrede vor dem Rat des LWB erwähnt, dass eine wichtige Aufgabe der Kirche ist, den Prinzipien der ganzheitlichen Mission treu zu bleiben. In der alten Kirche wurden die verschiedenen Dimensionen der kirchlichen Mission mit den Begriffen kerygma-leiturgia-diakonia beschrieben. Die zentralen Aufgaben der Kirche, die sich als Teil von „Gottes Mission“, der missio Dei, betrachtet, sind damit die Verkündigung des Evangeliums und Entfaltung des Wortes Gottes, Gottesdienst und Gebet und Dienst am Mitmenschen. Oft wird diesen Aspekten noch ein vierter hinzugefügt, nämlich martyria, d.h. öffentliches Zeugnis, auch gegen die Ungerechtigkeit. Wichtig ist, dass diese Aspekte sich in einem Gleichgewicht zueinander befinden. Dadurch kann erreicht werden, dass die Kirche sich einerseits nicht hinter die Kirchenmauern zurückzieht, andererseits aber in der Wahrnehmung der öffentlichen und sozialen Aufgaben das gottesdienstliche Leben und das Gebet nicht außer acht lässt.
Es heißt vor allem, dass die Kirche weiterhin die Botschaft von der befreienden Gnade Gottes in Jesus Christus den Menschen näher bringen soll, sich von dem In-Sich-Gekehrt-Sein abzuwenden und zur Nächstenliebe befreien zu lassen. Angesichts der heutigen Entwicklungen in der Gesellschaft, die stark polarisierend und fragmentierend sind und auch in den Kirchen einen Widerhall finden, ist es relevant, dass die Kirchen sich als Verkünder der Versöhnung verstehen, und nicht zur weiteren Fragmentierung beitragen. Weiter ist es eine Aufgabe der Kirchen, zum allgemeinen Bewusstsein über die enge Zusammengehörigkeit der ganzen Schöpfung beizutragen. Der weltberühmte estnische Komponist Arvo Pärt hat es sehr schön formuliert: „Das winzige Coronavirus hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass die Menschheit ein Gesamtorganismus ist und dass die menschliche Existenz nur in Beziehung zu anderen Lebewesen möglich ist. Der Begriff ’Beziehung’ muss als Maxime verstanden werden; als die Fähigkeit zu lieben.“ Diese Liebe soll sich im Dienst an den Mitmenschen sowohl durch diakonischen Dienst im engeren Sinne, aber auch in seelsorgerlicher Unterstützung und gemeinsamem Gebet mit- und füreinander ausdrücken.
Das Interview führte Freddy Dutz.
Die 45-jährige estnische Pfarrerin Anne Burghardt ist die erste Frau und erste Vertreterin aus der LWB-Region Mittel- und Osteuropa, die in das Amt der LWB-Generalsekretärin gewählt wurde. Im Lutherischen Weltbund (LWB) sind 148 lutherische Kirchen in 99 Ländern zusammengeschlossen, er vertritt 77 Mio. Gläubige.
Sie wird im November Nachfolgerin von Pfarrer Drs. h.c. Martin Junge. Burghardt hat auch in Deutschland studiert und ist derzeit noch Leiterin der Abteilung für Entwicklung am Theologischen Institut der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (EELK) und Beraterin der Kirche für internationale und ökumenische Beziehungen.
Erfahren Sie mehr über die Themen und Schwerpunkte der Evangelischen Mission Weltweit.
Die EMW unterstützt und begleitet im Auftrag ihrer Mitglieder ökumenisch-theologische Aus- und Fortbildung in Partnerkirchen weltweit.
Mehr ...Engagiert begleitet die EMW Diskussionsprozesse und Projekte im Bereich von Missionstheologie und interkultureller Theologie.
Mehr ...Die EMW unterstützt das Engagement für Achtung und Schonung von Lebensgrundlagen sowie für die Vielfalt des Lebens.
Mehr ...Gemeinsam mit den ökumenischen Partnern setzt sich die EMW-Gemeinschaft für Frieden und Gerechtigkeit ein.
Mehr ...