
Theologische Ausbildung
Die EMW unterstützt und begleitet im Auftrag ihrer Mitglieder ökumenisch-theologische Aus- und Fortbildung in Partnerkirchen weltweit.
Mehr ...Im Mai kam es zum schwersten Gewaltausbruch zwischen Palästinenser*innen und Israelis seit vielen Jahren. Der Programmkoordinator des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel (EAPPI), Jack Munayer, hat die Eskalation in Jerusalem miterlebt. Im Interview spricht er über die aktuelle Situation, sein persönliches Engagement für Gerechtigkeit und Versöhnung und darüber, welchen Beitrag das Begleitprogramm im Bemühen um einen gerechten Frieden für alle Menschen im Heiligen Land leistet.
© Foto: Sander Crombach/unsplash | Nach dem Gewaltausbruch im Mai konnte ein Waffenstillstand verhandelt werden.
Nach wochenlangen Protesten, die durch die geplante Vertreibung palästinensischer Familien aus dem Ost-Jerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah zugunsten von Siedlerorganisationen ausgelöst und durch Beschränkungen für muslimische Gläubige während des Fastenmonats Ramadan noch weiter verschärft wurden, eskalierte die Situation zu heftigen Kämpfen. Im Gazastreifen und den umliegenden israelischen Gemeinden verursachten sie von neuem großes Leid und Traumata, Tod und Zerstörung. Städte in Israel, in denen jüdische und arabisch-palästinensische Bürger*innen seit Jahrzehnten zusammenleben, haben beispiellose Zusammenstöße zwischen den beiden Gemeinschaften erlebt.
Ein Waffenstillstand konnte vermittelt werden, die Ruhe ist zunächst wiederhergestellt. UN-Organe sowie einige Regierungen und Kirchen haben dazu aufgerufen, die Ursachen des Konflikts anzugehen und auf einen dauerhaften und gerechten Frieden für alle Menschen im Heiligen Land hinzuarbeiten. Werden diese Bemühungen endlich wirksam sein? Jack Munayer, Programmkoordinator des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel (EAPPI), spricht im Interview über die aktuelle Situation und sein persönliches Engagement.
© Foto: privat | Jack Munayer
Sie leben mit Ihrer Familie in Jerusalem, wie ist es Ihnen während der jüngsten Eskalation ergangen?
Es war eine schwierige Zeit für meine Familie, obwohl wir glücklicherweise keine direkte Gewalt erlebt haben. Es fällt uns schwer, uns auf unsere „normale“ Arbeit zu konzentrieren und zu entspannen. Das ist an niemandem spurlos vorübergegangen. Meine Kinder sind zu jung, um zu verstehen, was vor sich geht, für sie war alles normal. Wir in Jerusalem wissen mit diesen Situationen gut umzugehen, aber sie sind dennoch sehr stressig und ärgerlich. Meine Frau, die nicht aus Jerusalem stammt, hatte es schwer, sich auf diese Realität einzustellen.
Sie sind halb Engländer, halb palästinensischer Christ mit israelischer Staatsbürgerschaft. Wie prägt das Ihre Auseinandersetzung mit der Situation in Palästina und Israel?
Meine Familie hat ihre Wurzeln im Land über 800 Jahre zurückverfolgt. Meine Vorfahren bauten die Kirche St. Georg (wo er begraben liegt) wieder auf, in der biblischen Stadt Lydda, die 1948 in Lod umbenannt wurde. Im selben Jahr wurde meine Familie vertrieben, während der Ereignisse, die auch als Nakba bekannt sind. Sie versteckten sich in der Kirche, nachdem sie von zionistischen Truppen (noch vor der Staatsgründung Israels) mit Waffengewalt bedroht worden waren. Sie überlebten und blieben, gemeinsam mit nur etwa 1.000 Menschen aus ihrer Gemeinde. Aus diesem Grund haben wir die israelische Staatsbürgerschaft. Aber sie wurden zu Flüchtlingen in ihrer eigenen Stadt. Ihr gesamtes Land und Eigentum wurde für den neuen israelischen Staat beschlagnahmt.
Ich wurde in Ost-Jerusalem geboren, zog aber früh nach West-Jerusalem auf die jüdische Seite unseres Stadtteils. Soweit ich weiß sind wir bis heute die einzige palästinensische Familie, die Eigentum auf dieser Seite besitzt. Ich wuchs in einer israelisch-jüdischen Schule auf und war der einzige Palästinenser und einzige Christ in meinem Jahrgang und oft auch bei meinen außerschulischen Aktivitäten. Ich spreche fließend Hebräisch und bin mit den Narrativen meiner Nachbarn aufgewachsen. Daher war ich gerade in meiner Jugend an vielen Brückenbau-Initiativen beteiligt. Meine gemischte ethnische Identität und Erfahrung bringt mich in eine Situation, in der ich in keine der Identitäts-„Schubladen“ passe und deshalb fühlte ich früh, dass ich ein effektiver Vermittler sein könnte. Außerdem bin ich halb international und das verband mich sehr stark mit Menschen im Ausland.
Im Moment nutze ich meine Identität auch, um die strukturellen Ungleichheiten, die Gewalt und Ungerechtigkeit des Systems, in dem ich lebe, besser zu reflektieren. Ich versuche, dies in der Sprache der Menschenrechte und des Völkerrechts zu vermitteln. Nur wenige Palästinenser*innen haben so nah an der israelischen Gesellschaft gelebt wie ich und ich glaube, dass ich einen einzigartigen Blickwinkel auf den Konflikt habe. Ich habe auch versucht, meine Identität zu nutzen, um diejenigen anzusprechen, die sich der Ungerechtigkeiten der Besatzung nicht bewusst sind oder diese wissentlich unterstützen.
Sie engagieren sich schon seit viele Jahren für Gerechtigkeit und Versöhnung. Woher nehmen Sie Ihre Motivation und Energie für dieses Engagement – besonders auch in Krisenzeiten?
Meine Motivation kommt allein aus meinem christlichen Glauben. Ich bin davon überzeugt, dass es eine Verpflichtung ist, sich auf seinen Nächsten und auch auf seine Feinde einzulassen. Es geht nicht darum, irgendeine Art von „Frieden“ zu schaffen, sondern darum, auf einen „gerechten Frieden“ hinzuarbeiten.
© Foto: EAPPI | Schützende Präsenz: Begleitung auf dem Schulweg in der Nähe von Hebron.
Sie sind Koordinator des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel, einem Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen, das 2002 als Reaktion auf einen dringenden Ruf der Kirchenoberhäupter in Jerusalem nach internationaler Präsenz ins Leben gerufen wurde. Wie sehen Sie die Rolle von Christen (lokal und international) bei der Bekämpfung der Ursachen des Konflikts und im Bemühen um einen gerechten Frieden für alle Menschen in Palästina und Israel?
Einige der Ursachen dieses Konflikts gingen und gehen auf Christen zurück. Dies gilt z.B. für den Umgang christlicher Nationen in Europa mit ihren jüdischen Bürger*innen, aber auch koloniale Interessen an diesem Land und dieser Region. Es macht daher Sinn, dass Christ*innen sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene Teil der Lösung sein sollten. Darüber hinaus gibt es Theologien wie den christlichen Zionismus, die heute ein wesentliches Hindernis für einen gerechten Frieden sind. Wir brauchen daher eine globale Bewegung, um dieses Problem zu lösen, Palästinenser*innen und Israelis werden es nicht allein schaffen. Christinnen und Christen können wesentlich zur Lösung des Konflikts beitragen, indem sie Zeug*innen und Fürsprecher*innen der unterdrückten Menschen in diesem Land sind. Darüber hinaus können sie gegen Ungerechtigkeiten Position beziehen.
In unserem Programm versuchen wir, die schwächsten Menschen zu begleiten, indem wir Seite an Seite mit ihnen stehen und in ihrem täglichen Leben ein Stück ihres Weges mitgehen, so wie es Jesus vor 2000 Jahren hier tat. Es hat etwas Kraftvolles, wenn Menschen auf diese Weise gewaltfrei solidarisch sind. Diese Solidarität ist einer der Beiträge, die die lokale und internationale christliche Gemeinschaft leisten kann, und ich glaube, dass sie auf lange Sicht einen Unterschied macht.
© Foto: EAPPI | Eine Ökumenische Begleiterin dokumentiert die Zerstörung eines palästinensischen Hauses in Jerusalem.
Ökumenische Begleitpersonen sind seit 2002 ununterbrochen vor Ort präsent. Die Corona-Pandemie führte zu einer Unterbrechung der lokalen Begleitaktivitäten. Wie wirkte sich dies auf die lokalen Gemeinden aus, in denen EAs (Ecumenical Accompaniers – Ökumenische Begleiter*innen) normalerweise eingesetzt sind?
Das Fehlen ökumenischer Begleiter*innen und anderer internationaler Akteure hat für viele palästinensische Gemeinden eine echte Krise verursacht. Sie leben in zunehmender Angst vor Belästigungen durch Siedler*innen und Soldat*innen und tatsächlich haben die Fälle von Menschenrechtsverletzungen in dieser Zeit zugenommen. Wir glauben, dass die Abwesenheit von Beobachter*innen einer der Gründe dafür ist. Wir haben viele Anrufe aus den Gemeinden erhalten, in denen wir gebeten wurden, so schnell wie möglich zurückzukehren.
EAs können über die schützende Präsenz hinaus einen Beitrag leisten, indem sie nützliche Daten zu Menschenrechtsverletzungen und Augenzeugenberichte bereitstellen. Darüber hinaus können sie lokale Friedens- und Menschenrechtsgruppen mit ihren Besuchen bestärken. EAs knüpfen Beziehungen, bauen Kontakte vor Ort auf und können den Menschen so auch Mut machen. Palästinenser*innen, die sich von Regierungen und Kirchen aufgrund deren überwältigender Unterstützung für Israel vergessen fühlen, zeigen EAs, dass es Christen und Christinnen aus vielen Ländern gibt, die ihre Geschichten hören und ihre Rechte unterstützen wollen.
Ein weiterer wichtiger Beitrag ist die Advocacyarbeit. Während EAs hier im Land sind, leiten sie internationale Delegationen, die zum Verständnis der Situation beitragen. Nach ihrer Rückkehr in die Heimatländer engagieren sie sich in ihren sozialen Kreisen, religiösen Gruppen und mit ihren Regierungen. Dieses Engagement trägt entscheidend dazu bei, die langfristige Veränderung herbeizuführen, die dieses Land dringend braucht. Die schützende Präsenz ist wichtig, aber eine Änderung der öffentlichen Meinung und der Regierungspolitik ist der einzige Weg, um einen von internationalen Partnern unterstützten gerechten Frieden zu realisieren.
Was ist Ihre Hoffnung für die Zukunft?
Ich habe sehr wenig Hoffnung, aber die Hoffnung, die ich habe, schöpfe ich aus zwei Quellen. Einerseits, wie bereits erwähnt, aus meinem Glauben, andererseits aus der zuletzt großen Zahl Palästinenser*innen, die sich zu gewaltfreien Aktionen zusammenschließen und Gleichberechtigung für alle fordern. Es gibt viele Menschen sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite, die vom Status quo profitieren, aber die jüngere Generation weigert sich, dies zu akzeptieren. Sie vereinen sich auf eine Weise, die es seit fast 30 Jahren nicht mehr gegeben hat. Verstärkte internationale Rufe nach einer Bewältigung der Ursachen des Konflikts könnten Palästinenser*innen und Israelis stärken, die nach einem wahrhaft gerechten Frieden und Gleichberechtigung streben. Es scheint, dass wir in eine neue Phase des Ringens um Würde … und der Hoffnung eintreten.
Das Interview führte Anja Soboh.
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