Theologische Ausbildung
Die EMW unterstützt und begleitet im Auftrag ihrer Mitglieder ökumenisch-theologische Aus- und Fortbildung in Partnerkirchen weltweit.
Mehr ...Zu einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts durch einen gerechten Frieden beizutragen, das ist das Ziel des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Seit zehn Jahren kommen Menschen aus aller Welt als „Ökumenische Begleiter*innen“ (EAs) nach Palästina und Israel. Einer von ihnen ist der pensionierte Theologe Ulrich Förster. Er ist erst kürzlich von seinem Einsatz in Jerusalem zurückgekehrt. Im Interview berichtet er, wie er seine drei Monate als EA erlebt hat.
Im Juni 2001 richteten die Kirchen in Jerusalem eine dringende Bitte um Unterstützung an die ökumenische Delegation, die Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete besuchte. Aus diesem Impuls ist das Ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) hervorgegangen. Der Auftrag von EAPPI ist es, Palästinenser*innen und Israelis bei ihren gewaltlosen Aktionen zu begleiten und gemeinsame Anstrengungen zur Beendigung der Besatzung zu unternehmen und so zu einem gerechten Frieden beizutragen. Im Sommer 2002 begann die erste Gruppe von „Ökumenischen Begleiter*innen“ (EAs) ihre Arbeit vor Ort. Seitdem sind allein über Hundert Deutsche als „Ökumenischen Begleiter*innen“ im Einsatz gewesen.
© Foto: Elina N. | Ulrich Förster im Shu`fat-Refugee-Camp bei der Arbeit.
Durch die Corona-Pandemie waren in den letzten zwei Jahren keine Entsendungen von EAPPI-Begleiter*innen möglich. Jetzt sind Sie einer der ersten, der wieder entsendet wurde. Wie ist die Situation vor Ort?
Die Situation ist ganz unterschiedlich und von Ort zu Ort verschieden. An einigen Orten, von denen wir aus Berichten wissen, dass sie vor einigen Jahren Brennpunkte waren, wo etwa viele Häuserzerstörungen und Zusammenstöße mit israelischen Sicherheitskräften stattgefunden haben, ist es ruhiger geworden, z.B. im Ostjerusalemer Stadtteil Al Issawiya. Dafür sind die besatzungsbedingten Konflikte an anderen Orten richtig hochgekocht, wie beispielsweise in Sheikh Jarrah, wo viele Familien vor einer Zwangsräumung zugunsten von Siedlerorganisationen stehen.
An vielen Einsatzorten des Programms sagen die begleiteten Menschen, dass es vermutlich auch aufgrund der Abwesenheit von internationalen Beobachter*innen in den letzten beiden Jahren mehr Übergriffe von israelischen Siedlern und Sicherheitskräften gegenüber der palästinensischen Bevölkerung gegeben hat. Und ich habe den Eindruck, dass der Raum für die Palästinenser*innen Stück für Stück enger wird: Da ein neuer Siedlungsaußenposten, dort eine neue Beschränkung. Die neue Regierung in Israel, die nun bald ein Jahr im Amt ist, hat zwar nicht zu einem grundsätzlichen Politikwechsel gegenüber der palästinensischen Bevölkerung geführt, aber hat trotzdem, so wurde uns z.B. von Mitarbeitenden der israelischen NGO PeaceNow berichtet, eine Stimmungsveränderung in der israelischen Gesellschaft bewirkt. Die Brandmarkung von israelischen Friedensaktivist*innen als „Verräter*innen“ mit Nachstellungen bis in die privaten Lebensbereiche hinein sei demnach etwas zurückgegangen. Manche Diskussion über Konflikt und Besatzung wäre nun eher wieder möglich.
Was war der erste Eindruck, den Sie vom Land hatten?
Ein unwahrscheinlich quirliges, facettenreiches und buntes Land, wo auf kleinstem Raum die verschiedensten Welten und Wirklichkeiten nebeneinander existieren und manchmal aufeinanderprallen, von einer archaischen Hirten- und Weidekultur bis zur modernsten Hochtechnologie.
Das EAPPI, eine Initiative des Ökumenischen Rates der Kirchen, unterstützt lokale und internationale Anstrengungen, israelische Besatzung zu beenden und zu einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts durch einen gerechten Frieden beizutragen. Wie sieht das konkret aus? Was sind denn Ihre Aufgaben vor Ort?
Wir zeigen internationale Präsenz und besuchen Stadt- und Ortsteile, Dorf- und Beduinengemeinschaften, Flüchtlingslager, Kirchen, Bildungszentren und Initiativen, israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen. Wir sprechen mit den Menschen und den Verantwortlichen vor Ort und fragen nach Veränderungen, Nöten und Hoffnungszeichen.
Wir begleiten Schulkinder auf dem Schulweg, um das Risiko von Belästigungen oder Schikanen durch Siedler oder Sicherheitskräfte zu verringern und so einen angstfreieren Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Wir begleiten so ebenfalls Hirten mit ihren Herden auf die Weide und Bauern auf ihre Felder oder Olivenhaine, wenn ansonsten die Gefahr besteht, dass sie und ihre Tiere schikaniert oder verjagt werden oder ihre Arbeit behindert wird, und dokumentieren Übergriffe. Wir stehen an bestimmten Tagen an den Checkpoints zwischen der Westbank und Ost-Jerusalem und beobachten, ob Palästinenser*innen der Zugang zur Arbeit, Schule und zu den religiösen Stätten ermöglicht oder erschwert wird.
Wir besuchen israelische und palästinensische Friedens- und Menschenrechtsorganisationen und begleiten ihre Arbeit, nehmen an Informationstouren z.B. von „Breaking the Silence“, sowie „Field visits“ (Ortsterminen) und Gerichtsverhandlungen teil oder beteiligen uns an Hirtenbegleitaktionen von Ta`ayush (einer palästinensisch-israelischen gewaltfreien Aktion zur Beendigung der Besatzung). Und wir zeigen uns solidarisch z.B. mit den israelischen „Women in Black“, die seit über 30 Jahren jeden Freitagnachmittag in Westjerusalem eine Mahnwache für ein Ende der Besatzung durchführen, und dokumentieren weitere gewaltfreie Proteste von Palästinenser*innen und Israelis, wie z.B. in Sheikh Jarrah.
Wir gehen zu Hauszerstörungen und erzwungenen Selbstzerstörungen durch die Hauseigentümer*innen, sprechen mit den Menschen, dokumentieren die Geschehnisse und geben die Informationen weiter. Und können eventuell auch Adressen nennen, an die sich die Betroffenen wenden können.
© Foto: Elina-N. | Ulrich Förster war als EA im Jerusalemer Raum eingesetzt.
Was können Sie und die anderen internationalen Ökumenischen Begleiter*innen (EAs) vor Ort bewirken?
Ich denke, die wichtigste Wirkung ist die, dass Menschen sich gesehen fühlen, dass sie ihre Geschichte erzählen können und das Gefühl haben, dass sie gehört werden, dass da Menschen aus dem Ausland kommen und Anteil nehmen an ihrem Leben und ihrem Schicksal. Und ihre Geschichten weitertragen in die Heimatländer der ökumenischen Begleiter*innen. Dass wir aus den unterschiedlichsten Ländern kommen, ist ein starkes Zeichen der Solidarität für die Menschen vor Ort im Sinne von: „Wir sind nicht vergessen“.
Und unsere Präsenz vor Ort kann auch die konkrete Auswirkung haben, dass manche Übergriffe nicht oder weniger heftig passieren. Wenn internationale Begleiter*innen, als solche kenntlich durch ihre Westen, z.B. die Kontrolle von palästinensischen Jugendlichen oder jungen Männern durch israelische Sicherheitskräfte sichtbar beobachten, fallen diese Kontrollen zum Teil weniger erniedrigend aus.
Wie reagieren die Menschen auf Sie und Ihre Anwesenheit?
Wir werden in den allermeisten Fällen herzlich willkommen geheißen. Die Menschen in den Kirchen vor Ort haben uns im Januar mit Stoßseufzern der Freude und Erleichterung empfangen: „Gott sei Dank seid ihr zurück!“
Diese Freude über die Rückkehr von uns ökumenischen internationalen Begleiter*innen schlägt uns auch bei den meisten unserer palästinensischen und israelischen Gesprächspartner*innen entgegen, an manchen entlegenen Orten im Westjordanland waren wir wirklich die erste internationale Präsenz nach zwei Jahren Corona-Pause.
Natürlich gibt es auch die andere Seite: Siedlerorganisationen haben ökumenische Begleiter*innen fotografiert, gefilmt und verbreiten falsche Behauptungen über das Programm in sozialen Medien. Und auch für viele Sicherheitskräfte ist es nach der langen Pause eine neue Erfahrung, wenn ihre Arbeit beobachtet wird. Manche sprechen uns an, dann können wir erklären, wer wir sind und was wir tun.
Warum haben Sie sich für das EAPPI-Programm entschieden?
Ich habe im Frühjahr 2020 eine Anzeige im Newsletter des kleinen christlichen Friedensdienstes EIRENE entdeckt, „Freiwillige für Palästina/Israel gesucht“, die mich sofort angesprungen hat. Das Ende meiner Berufstätigkeit war abzusehen, Israel und Palästina hatten schon immer einen starken Anreiz auf mich als Theologen ausgeübt. Aktiv Friedens-, Menschenrechts- und Solidaritätsarbeit leisten zu können, war ein wichtiger Punkt für mich, und den Zeitraum von drei Monaten empfand ich als genau richtig, nicht zu lang und nicht zu kurz.
Was war das eindrücklichste Erlebnis? Was haben Sie für Erfahrungen gemacht, die Sie mit zurück nach Deutschland genommen haben?
Das eindrücklichste Erlebnis war, als ein junger Familienvater einer siebenköpfigen Familie im Ost-Jerusalemer Stadtteil Sur Bahir den Bagger bestieg und begann, sein eigenhändig erbautes zweistöckiges Haus, 2015 erbaut, selbst wieder zu zerstören, weil er sich die hohen Kosten für den Abriss durch die Behörden sparen wollte. Die Bußgeld- und Prozesskosten waren mit knapp 100.000 Euro schon extrem hoch. Das eigene Heim zertrümmern, weil es einfach keine Baugenehmigung der Stadtverwaltung gibt, und die ganze Familie steht daneben und schaut zu, ich muss jetzt noch schlucken, wenn diese Bilder in mir hochsteigen.
Und trotzdem leben diese Menschen ihr Leben weiter, sie werden nicht gewalttätig, nein, sie stehen wieder auf, fangen von vorne an, suchen das Beste für ihre Familien zu machen und verlieren nicht ihren Lebensmut. Das ist für mich so bewundernswert und das werde ich mit nach Deutschland zurücknehmen und weitererzählen. Vielleicht kann ich so meinen Beitrag leisten zu einer Entwicklung hin zum Ende einer jetzt fast 55-jährigen Besatzung und zu einem gerechten und dauerhaften Frieden in Palästina und Israel.
Das Interview führte Tanja Stünckel.
Ulrich Förster (63) ist verheiratet mit einer, wie er selbst sagt, wunderbaren Frau, Vater dreier wunderbarer erwachsener Kinder, Großvater von zwei entzückenden Enkelkindern und lebt in einem Dorf bei Bayreuth. Er ist Theologe und Supervisor und arbeitete fast 35 Jahre im Kirchendienst als Religionslehrer an beruflichen Schulen in Bayreuth und die letzten 12 Jahre auch als Supervisor. Zudem ist er sehr musikalisch und engagiert sich bei einem monatlichen Taizé-Gebet, und singt in einem kleinen aber feinen a-capella-Ensemble. Für EAPPI war er im Jerusalemer Team eingesetzt, und wurde vom Berliner Missionswerk entsandt.
Das Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI), ein Programm des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), bringt Menschen aus aller Welt für einen dreimonatigen Einsatz nach Palästina und Israel. Als Ökumenische Begleitperson leben Sie in einem internationalen Team im Westjordanland oder Jerusalem und dokumentieren den Alltag unter Besatzung. Sie solidarisieren sich mit den lokalen christlichen Gemeinden sowie palästinensischen und israelischen Menschenrechtsgruppen.
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