Gute Ausbildung – geschlechtergerecht

Das kleine Seminario Andino San Pablo im Hochland von Peru mit seinem Leiter Pastor César Llanco hat große Ziele: Die indigene Bevölkerung theologisch aus- und weiterzubilden – geschlechtergerecht, ökumenisch, kontextuell, auf Universitätsniveau. Ein Unternehmen, das im hauptsächlich katholischen und derzeit evangelikal-fundamentalistischer werdenden Peru, einigermaßen unerwartet und ein bedeutendes Projekt ist, das seinesgleichen sucht.

Pastor César Llanco auf der Graduationsfeier der Frauenklasse 2019 © Foto: privat | Pastor César Llanco auf der Graduationsfeier der Frauenklasse 2019

Der Personenzug fährt nur alle 14 Tage von Lima nach Huancayo, mitten im Hochland der Anden Perus – doch der ist ohnehin nur für die Tourist*innen. Denn die Stadt, die etwa 3260 m über dem Meeresspiegel liegt, ist vor allem mit dem Fernbus gut zu erreichen. Es leben viele Indigene in dieser Region. Huancayo ist zwar nur die regionale Hauptstadt von Junín, doch ihre Hochschul- und Bildungsstätten sind von überregionaler Bedeutung. Eine von ihnen ist das Seminario Andino San Pablo (SASP).

Als das SASP 1996 mit der Arbeit begann, war das noch anders. Damals hoffte das Seminario, mit seinen pastoral-theologischen Ausbildungsprogrammen vor allem die in Bezug auf Bildung oft infrastrukturell vernachlässigte ländliche und indigene Bevölkerung der Anden-Region zu erreichen. Der Ansatz, den die SASP seit damals verfolgt, ist, die Bibel nicht in konservativ fundamentalistischer Tradition auszulegen, sondern Bibelkunde auf den eigenen Kontext bezogen, kulturoffen und praxisnah zu unterrichten. Schon früh spielten hierbei auch die Themen Geschlechtergerechtigkeit, Prävention von häuslicher Gewalt und Ökumene eine wichtige Rolle. Pastor César Llanco, seit 1999 Leiter des SASP, bringt die Ziele so auf den Punkt: „Wir haben das Interesse, dass die theologische Ausbildung keine fundamentalistisch eingestellten Christ*innen hervorbringt, sondern Christ*innen mit einer Denkweise, die aus der Perspektive der Befreiung kommt.“

Wie ernst es dem Seminario mit den eigenen Zielen wie etwa der Geschlechtergerechtigkeit ist, zeigt sich auch an der Zusammensetzung des Kollegiums: Heute sind sieben der insgesamt 14 Dozent*innen Frauen.

Der christliche Glaube soll befreien

Eine solche Offenheit ist keine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem der Machismo nach wie vor das vorherrschende Denkmodel ist. Gewalt gegen Frauen ist keine Seltenheit. Gleichzeitig wird diese erst offiziell gezählt, wenn es hierbei zum Tod der Frau kommt. Denn Frauen werden zumeist als Menschen zweiter Klasse und als Eigentum des Mannes gesehen. Dem christlichen Glauben kommt bei diesem Weltbild nach Meinung von Pastor César Llanco eine zwiespältige Rolle zu. „In vielen christlichen Familien ist das Familienoberhaupt der Mann. Diese Vorstellung wird von einer fundamentalistischen Bibelauslegung hergeleitet, die es dem Mann erlaubt, über die Familie zu bestimmen. Aber im Seminario sind wir der Ansicht, dass der Glaube uns helfen sollte, diese Situation zu ändern und die Vorherrschaft des Mannes abzuschaffen.“

Die Frauen-Abschlussklasse 2019 feiert ihren Abschluss © Foto: privat | Die Frauen-Abschlussklasse 2019 feiert ihren Abschluss

Das Seminario ist mit seiner Einstellung zu Frauen auch unter den christlichen Strömungen Perus eine Ausnahme. Dabei, so ist sich César Llanco sicher, gäbe es dringend Handlungsbedarf besonders in Bezug auf die fundamentalistische Bibelauslegung von einer wachsenden Anzahl von Gruppen und Kirchen, die an den alten Vorstellungen festhalten und neue Gedanken, wie z.B. Geschlechtergerechtigkeit oder Klimagerechtigkeit ablehnten. Das gehe sogar soweit, dass verhindert werden solle, dass Frauen studierten, da sie nicht in der Lage seien, das Pastoralamt auszuführen. Pastor Llanco rechnet derzeit nicht damit, dass diese Tendenzen abnehmen. Im Gegenteil nach seiner Beobachtung hat der Fundamentalismus in Lateinamerika in den letzten fünf bis sieben Jahren eher noch zugenommen. Auch dieser Entwicklung möchte das Seminario Andino San Pablo etwas entgegensetzen.

Für Indigene gibt es nur wenig Möglichkeiten für Aus- und Fortbildung

Doch das Seminario setzt sich nicht nur für Frauenrechte ein. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Ausbildung der ländlichen und indigenen Bevölkerung, was häufig das Gleiche ist. Die Indigenen haben in Peru nur wenig Möglichkeiten, sich aus- und fortzubilden. Das hat unter anderem infrastrukturelle Gründe. Viele indigene Gemeinschafen leben in relativer Abgeschiedenheit. Aber es ist auch ein kulturelles Problem. In vielen Schulen wird ausschließlich auf Spanisch unterrichtet, und die Qualität der Schule, die besucht werden kann, hängt direkt von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern ab. Diese ist in indigenen Familien in der Regel besonders gering.

Absolvent*innen des Bachillerato-Studiengangs in Huancayo 2019 © Foto: privat | Absolvent*innen des Bachillerato-Studiengangs in Huancayo 2019

Um diese Diskrepanz abzumildern und wenn indigene Schüler*innen und Auszubildende bereit sind, den eigenen Heimatort zu verlassen, um ihre Ausbildung wahrzunehmen, gibt es staatliche Unterstützung für die entsprechenden Bildungsprogramme. Doch auch hier gibt es in der Umsetzung Probleme, erklärt César Llanco. Korruption, Unterschlagung, Fehlkalkulation, Günstlingswirtschaft, Personalmangel und mitunter unzureichende Ausbildung der Lehrer*innen waren die Hauptprobleme vor der Pandemie. Mit der Pandemie hat sich dann erneut gezeigt, dass die Menschen in der Stadt ihrer Bildung weiterhin besser nachgehen konnten, während die Menschen auf dem Land mitunter nicht einmal Zugang zu Internet hatten und es praktisch kein Bildungsangebot für betroffene Kinder gab.

Das Angebot des SASP trägt dieser Besonderheit des Bildungssystems Sorge und bietet dezentral verschiedene Fortbildungen für Erwachsene mit unterschiedlicher Vorbildung, vor allem im Bereich der theologischen und pastoralen Ausbildung an. Darunter mehrere Diploma-Lehrgänge, die auch Menschen mit geringer Schulbildung offenstehen und ein vierjähriges „Bachillerato“-Studium, dass einen anerkannten universitären Abschluss verleiht. Während der Pandemie weitestgehend auch online und postalisch.

Den konservativen Kirchen ein Dorn im Auge

Dabei geht es dem Seminario Andino San Pablo nicht nur um die Befähigung seiner Absolvent*innen. Wenngleich diese, so ist sich César Llanco sicher, an sich schon wertvoll ist. Das Seminar sieht sich selbst als einen geschützten Ort, wo Dinge anders gedacht werden können, ohne dass man verurteilt wird, der Freiraum für einen Dialog bietet und Themen zur Diskussion stellt, die woanders nicht diskutiert werden.

Gerade diese Fortschrittlichkeit des SASP ist vielen der konservativen Kirchen ein Dorn im Auge. Viele erkennen die theologische Ausbildung des SASP nicht an. Der Gedanke der Ökumene und eine kontextuelle Bibelauslegung, wie in der Befreiungstheologie üblich, wirkt in fundamentalistischen Kreisen eher abschreckend. Dennoch sind auch Studierende fundamentalistischer Kirchenzweige dabei. Für Pastor Llanco eine Chance, den Wandel aktiv mitzugestalten.

Und der Wandel hat bereits eingesetzt: „Die Tatsache, dass Menschen aus den ländlichen Gebieten einen Universitätsabschluss machen können, der sie stärkt und qualifiziert, ist für viele Menschen eine unvorstellbare Idee. Aber diese Stärkung geschieht nicht nur auf der Ebene der Reflexion, sondern auch auf ganz persönlicher Ebene, denn der universitäre Abschluss bringt die Menschen weiter in der Gesellschaft“, erklärt Llanco. Das SASP erreicht aus dem Hochland zwar nur einen kleinen Teil der Christ*innen in dem überwiegend katholisch geprägten Land mit wachsenden evangelikal-fundamentalistischen Kirchenströmungen. Aber Pastor César Llanco ist sich in Bezug auf die Arbeit des SASP sicher: „Es ist nicht viel, aber es ist doch bedeutend.”

Tanja Stünckel


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