Hin zu einer ökumenischen Mission

2011 erschien das Dokument „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“, das vom Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog (PCID), der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) und dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) erarbeitet wurde. Vor kurzem wurde das 10-jährige Jubiläum gefeiert. Unter dem Titel „Towards an ecumenical missiology“ fand im Mai die zweite ökumenische Tagung statt, die sich mit einer gemeinsamen Missionstheologie beschäftigt. Wie das alles zusammenhängt und was die Veranstalter*innen sich von der Kooperation erhoffen, erzählt Michael Biehl, Mitveranstalter und Referent bei Evangelische Mission Weltweit.

Die Tagung „Towards an ecumenical missiology“ fand hybrid statt, sodass auch Teilnehmende, die nicht reisen konnten, teilnehmen konnten. © Foto: Christiane Ehrengruber/EMW | Die Tagung „Towards an ecumenical missiology“ fand hybrid statt, sodass auch Teilnehmende, die nicht reisen konnten, teilnehmen konnten.

Das Dokument „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ wurde stark rezipiert, und der Prozess, den es angestoßen hat, ist bis heute nicht abgeschlossen. Was hat Sie veranlasst, diesen Prozess in so einer ökumenischen Runde zu starten?

In dem Dokument forderten die Herausgebenden ihre Mitglieder auf, sich zu treffen, um dieses Dokument zu diskutieren und daraus Handlungsfolgerungen für Mission in ihren eigenen Kontexten zu ziehen. Die Evangelische Mission Weltweit und missio Aachen haben einen Rezeptionsprozess für dieses Dokument in Deutschland gestartet, an dem die Gemeinschaften und Kirchen in Deutschland, die den genannten Weltbünden und der Römisch-katholischen Kirche angehören, beteiligt waren.

Wir haben dazu verschiedene Tagungen veranstaltet. Die größte Erkenntnis dabei war, dass wir uns in vielen Fragen näher waren, als wir dachten, und dass die Ansichten, die wir übereinander hegten, oft nicht mehr zutrafen.

Ab 2018 begann dann der Weg von „Towards an ecumenical missiology“ und wir sprachen gezielt mit Missionstheolog*innen über spezielle systematisch-theologische Themen. Dabei luden wir Referierende aus verschiedenen Regionen der Welt aus akademischen und kirchlichen Bezügen ein. Wir legten dabei Wert auf eine Balance zwischen einer römisch-katholischen, freikirchlichen-evangelikalen, einer orthodoxen und protestantischen Sicht. Und auch pfingstcharismatische Stimmen sollten eingeladen werden. Die Ergebnisse der Konsultationen halten wir in einer Buchreihe fest.

© Foto: EMW

Einige Referent*innen der letzten Konferenz im Mai sind nicht eindeutig in Schubladen einzusortieren, zum einen, weil sie in verschiedenen Kulturen beheimatet sind. Gleichzeitig gab es auch Referent*innen, die zu verschiedenen Konfessionen einen Bezug haben. Welche Rolle spielen solche „diversen Identitäten“ oder „Bindestrich-Identitäten“?

Das Dokument „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ schlägt als Zugang vor, dass Menschen aus einer bestimmten konfessionellen Tradition mit anderen über ihre Missionstheologien sprechen. Der Ansatz der letzten Konferenz im Mai war, dass niemand über die Spiritualität von anderen redet, sondern über die, in der er oder sie selbst beheimatet ist, und was daraus für eine ökumenische Missionstheologie folgt. Nun hatten wir Teilnehmende, die sich tatsächlich in mehreren Traditionen und in mehreren Regionen zuhause gefühlt haben.

Zumindest für den Bereich der Missionstheologie und der interkulturellen Theologie ist festzustellen, dass die Menschen viel interkultureller und ökumenischer unterwegs sind und oft die vertrauten Kategorien überschreiten. Von daher war eine spannende Frage auf der Konsultation, wie wir das für Leute übersetzen, die in diesen Traditionen beheimatet sind und nicht diese ökumenische Weite mitbringen. Das wird eine der Fragen sein, die als Fortführung dieser Konferenz zu diskutieren wäre.

Dr. Michael Biehl ist Theologischer Referent bei der Evangelischen Mission Weltweit. © Foto: Christiane Ehrengruber/EMW | Dr. Michael Biehl ist Theologischer Referent bei der Evangelischen Mission Weltweit.

Wie wirkt sich diese kulturelle und konfessionelle Verschiedenheit aus? Welche Erkenntnisse konnten gewonnen werden?

Ein Ergebnis der ersten Konferenz im Jahr 2019 war, dass in Bezug auf die Christologie die allermeisten Referent*innen der Meinung waren, dass die kontextuelle Bezogenheit und die Region, aus der sie kommen, eine weitaus größere Rolle spielen als die konfessionelle Beheimatung. Dieser Eindruck hat sich bei der Tagung zur missionarischen Spiritualität bestätigt. Gleichzeitig wurde auch deutlich, dass es gerade im Bereich Spiritualität bestimmte Traditionen gibt, die sehr stark prägen, unabhängig vom kulturellen oder kirchlichen Kontext.

Welchen Unterschied haben Sie wahrgenommen zwischen den Diskussionen über Christologie und nun über Spiritualität?

Je näher uns Christus kommt, desto mehr spiegelt er unsere Unterschiedlichkeit und auch Gebrochenheit wider. Es macht einen Unterschied, ob wir ihm einen weißen, männlichen Leib, blaue Augen und Bart geben oder einen gebrochenen, Schwarzen Leib. Die Frage, die aus dieser Vielfalt erwuchss, war, was angesichts der vielen Gesichter Christi dann das Gemeinsame ist.

Als wir beim Thema der missionarischen Spiritualität über den Geist sprachen hatten wir das weniger, denn wir waren uns mehr einig. Doch auch hier kamen solche Fragen auf, z. B., ob wir vom Geist als sie reden können, also mit weiblichen Pronomen. In anderen Sprachen klingt das noch mal anders, als in unserer binären Sprache. In solchen Diskussionen kommen wir hoffentlich auch durch intensiven Austausch und Gespräche, wie auf der Tagung, weiter.

Was waren die größten positiven Überraschungen für Sie bei dieser zweiten Tagung in Mainz?

Zunächst, dass die Tagung zustande gekommen ist und auch so viele Leute aus der ganzen Welt dabei waren. Eigentlich war die Tagung für 2021 geplant und wurde pandemiebedingt immer wieder aufgeschoben. Leider haben nicht alle ein Visum erhalten. Es war uns ein großes Anliegen, in Präsenz zu tagen, auch um Spiritualität miteinander gemeinsam zu erfahren.

Zweitens, dass diese Dimension von geteilter Spiritualität tatsächlich erfahrbar wurde. In den Morgenandachten, im Gottesdienst, in dem Besuch in einer Abtei und auch zwischendrin, in den Gesprächen, fand ich das sehr anregend.

Drittens hätte ich nicht gedacht, dass das mit der hybriden Organisation der Konferenz so großartig klappt. Wir hatten entschieden, den Menschen, die nicht physisch teilnehmen konnten, die Teilnahme an den Plenarsitzungen und ihre Vorträge online zu ermöglichen. Spontan haben wir sie dann auch in die Arbeitsgruppen mit eingebunden. Dass das so gut funktioniert hat, war eine positive Überraschung.

Auch erstaunlich war, dass, obwohl so viele Vorträge in so einer kurzen Zeit stattfanden, die Leute sehr aufmerksam und engagiert waren und wir an den Fragen gemeinsam arbeiten konnten.

Eine internationale Gruppe von Theolog*innen traf sich im Mai 2022 in Mainz, um über missionarische Spiritualität zu sprechen. © Foto: Christiane Ehrengruber/EMW | Eine internationale Gruppe von Theolog*innen traf sich im Mai 2022 in Mainz, um über missionarische Spiritualität zu sprechen.

Es sind noch weitere Konferenzen und auch Publikationen geplant. Wird sich dann diese Perspektive noch weiter öffnen, wenn es jetzt weitergeht?

Wenn es das nächste Mal um die Eschatologie geht, dann könnte es natürlich sein, dass es trotz der größeren gemeinsamen Basis einer missionarischen Ethik, wie sie in dem Dokument vorgeschlagen ist, Unterschiede gibt.

Da geht es um Fragen wie: „Was ist mit denen, die nie von Christus gehört haben?“ Oder „Wie verstehen wir den Auftrag des Herrn, in die Welt zu gehen und andere zu Nachfolgenden zu machen?“ Und „Was ist mit denen, die die Botschaft hören und sich gegen sie entscheiden?“ Da kann ich mir gut vorstellen, dass wir tatsächlich an Trennlinien zwischen den Traditionen und bestimmten theologischen Profilen kommen. Denn dort schließt sich die Frage an: „Welches Bild haben wir eigentlich von Menschen, die anderen Religionsgemeinschaften angehören? Die einen anderen Glauben bekennen?“. Es könnte durchaus sein, dass diese Tagung dann kontroverser abläuft als die beiden bisherigen.

Und was würden Sie sich für die nächsten Schritte erhoffen?

Ich erhoffe mir, dass der Ursprungsimpuls erhalten bleibt, dass wir uns missionstheologisch doch viel näher sind als die Ansichten, die wir voneinander hegen mögen, glauben lassen. Ich würde sagen, die Konferenzreihe bestätigt diesen Impuls und trägt diese Erkenntnis über die dokumentarische Verarbeitung, also die Bücher und die anderen Veröffentlichungen, weiter.

Ich erhoffe mir auch, dass diese Konferenzreihe als eine kontinuierliche thematische Entwicklung weitergehen kann, wenn auch nicht immer mit den gleichen Personen. Es wäre doch schön, wenn das Ergebnis lautet: Ja, wir sind unterwegs, und Missionstheologie entwickelt sich auch auf dem gemeinsamen Weg. Sie zeigt viele Facetten und verändert sich, weil sich auch die Welt und die Theologie und vieles andere entwickeln.

Das Interview führte Christiane Ehrengruber.


Lesetipp

Wie unterscheiden sich christologische Perspektiven je nach kulturellem, geografischem und konfessionellem Kontext? Theolog*innen aus Afrika, Asien, Amerika, dem Nahen Osten, Ozeanien und Europa erörtern diese Fragen und konzentrieren sich dabei auf die missiologischen Implikationen der verschiedenen kontextuellen Christologien. Sie versuchen, die Frage zu beantworten, ob kontextuelle und konfessionelle Herkunft die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen in einer Weise prägen, die besondere Identitäten schafft, formt und sichert.

Zum Buch

Unsere Themen

Erfahren Sie mehr über die Themen und Schwerpunkte der Evangelischen Mission Weltweit.

Der EMW-Newsletter

Abonnieren Sie unseren Newsletter, um immer informiert zu sein.