Korea: 70 Jahre sind genug

Korea trägt schwer an seiner Vergangenheit: Das geteilte Land leidet noch immer unter den Folgen des Koreakriegs und steht im Fadenkreuz der Atommächte. Zusammen mit der weltweiten ökumenischen Gemeinschaft setzen sich die südkoreanischen Kirchen für Frieden, Abrüstung und Wiedervereinigung ein. „70 Jahre sind genug und es ist Zeit für ein Ende des Krieges“, lautet ihre Forderung.

Seit 70 Jahren gibt es nur ein Waffenstillstandsabkommen auf der koreanischen Halbinsel. Die Kampagne „Friedensaufruf für Korea“ fordert, den Kriegszustand endlich zu beenden und ein Friedensabkommen zu verabschieden. © Foto: Paul Jeffrey/WCC | Seit 70 Jahren gibt es nur ein Waffenstillstandsabkommen auf der koreanischen Halbinsel. Die Kampagne „Friedensaufruf für Korea“ fordert, den Kriegszustand endlich zu beenden und ein Friedensabkommen zu verabschieden.

Im Lauf seiner wechselvollen Geschichte war Korea immer wieder Spielball der Machtinteressen anderer Staaten. 1945 erlangte es nach 36 Jahren harter Kolonialherrschaft die Unabhängigkeit von Japan. Doch nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Korea endgültig in einen kapitalistischen Süden und einen sozialistischen Norden aufgeteilt. Diese Teilung löste schließlich den Koreakrieg aus. Der erbarmungslose Bruderkrieg dauerte von 1950 bis 1953 und kostete mindestens 2,5 Millionen Menschen das Leben, von denen 65 Prozent Zivilist*innen waren. Er riss Millionen Familien auseinander, hatte die Zerstörung fast aller größeren Städte Koreas zur Folge und verursachte auf beiden Seiten zahllose Massaker.

Das eigentliche Ziel des Krieges, die Teilung Koreas rückgängig zu machen, wurde nicht erreicht. Noch verhängnisvoller ist die Tatsache, dass am Ende des Koreakriegs zwar ein Waffenstillstandsabkommen, aber kein Friedensvertrag zwischen Nord und Südkorea unterzeichnet wurde. Damit befinden sich die beiden Länder offiziell noch immer im Kriegszustand. Infolge des Waffenstillstandsabkommens wurde eine 250 Kilometer lange und etwa vier Kilometer breite entmilitarisierte Zone (DMZ) geschaffen, die die koreanische Halbinsel in der Nähe des 38. nördlichen Breitengrades trennt.

Durch den andauernden Kriegszustand und das Waffenstillstandsabkommen wird die Teilung aufrechterhalten. Wiederholt wurden Bemühungen um Frieden auf der koreanischen Halbinsel durch das Hegemonialstreben der Großmächte zunichte gemacht.

Kirchen engagieren sich für Frieden und Wiedervereinigung

Seit mehr als einem halben Jahrhundert setzt sich der Nationale Rat der Kirchen in Korea (NCCK) zusammen mit der weltweiten ökumenischen Gemeinschaft für Frieden und Wiedervereinigung ein. Zu den Mitgliedern des NCCK gehören u. a. auch die koreanischen Mitgliedskirchen der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS), die Presbyterianische Kirche in der Republik Korea (PROK) und die Presbyterianische Kirche von Korea (PCK). Erklärtes Ziel des NCCK ist es, den Koreakrieg endgültig zu beenden und einen dauerhaften Frieden aufzubauen – durch die Umwandlung des Waffenstillstands in einen verbindlichen Friedensvertrag. Auf diesem Weg lassen sich die Kirchen von der folgenden theologischen Vision leiten: Gottes Reich der Versöhnung, des Friedens und der Befreiung ist Kern der christlichen Mission (Lk 4,18).

Shin Seung-min ist Pfarrer der Presbyterianischen Kirche in der Republik Korea (PROK). Von 2015 bis 2022 war er Generalsekretär des Nationalen Rates der Kirchen in Korea (NCCK). © Foto: EMS | Shin Seung-min ist Pfarrer der Presbyterianischen Kirche in der Republik Korea (PROK). Von 2015 bis 2022 war er Generalsekretär des Nationalen Rates der Kirchen in Korea (NCCK).

Aufgrund der Teilung war das Leben der Menschen auf der koreanischen Halbinsel in den letzten 70 Jahren dominiert von Feindschaft, Gewalt und Konflikten. Dennoch haben auch wir als koreanische Kirche Hass und Feindschaft gesät und damit die Teilung aufrechterhalten, anstatt Frieden und Versöhnung zu verkündigen. Deshalb haben wir die koreanische Kirche – einschließlich uns selbst – immer wieder gemahnt, Buße zu tun, weil wir die radikale Nächstenliebe Jesu nicht gelebt haben, vor allem gegenüber den Menschen im Norden des Landes.

Die Versöhnung und die nationale Vereinigung können nicht durch Macht erreicht werden. Der Koreakrieg hat uns dies gezeigt. Er hat weder Versöhnung noch Wiedervereinigung gebracht, sondern Teilung und nur noch mehr Gewalt (Ps 33, 16-20). Daher ist unser Motto, dass Frieden der einzige Weg zu Versöhnung und nationaler Wiedervereinigung ist.

Unterschiedlichkeit ist keine Strafe von Gott, sondern ein Segen (1. Mose 11, 1-9). Da Unterschiedlichkeit jedoch als Problem angesehen wurde, hat man sie in einem Prozess der Assimilierung und unter Gewaltanwendung unterdrückt. Der Norden und der Süden haben sich gegenseitig dämonisiert und ihre Unterschiedlichkeit als das Böse verdammt. Es gab keinen Platz für Gastfreundlichkeit in der koreanischen Kirche.

Wir erleben Gottes Gnade, indem wir teilen. In Gottes Gnade sind wir nie nur Gebende oder nur Empfangende, weil wir alle bedürftig sind und Gaben zum Geben haben. Wir aber haben uns voneinander abgewandt. Vor allem wir Südkoreaner*innen haben sehr selten das, was wir hatten, mit den Menschen im Norden geteilt, als sie uns in ihrer Not brauchten (Mt 25,35).

Weltweite Friedenskampagne

Im Jahr 1988 veröffentlichte der NCCK die „Erklärung der koreanischen Kirchen für nationale Wiedervereinigung und Frieden“. Diese Erklärung bildete die Basis für eine große Kampagne zur Beendigung des Krieges und zum Abschluss eines Friedensabkommens. Die 10. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 2013 in Busan (Südkorea) wurde dabei zu einem echten Wendepunkt, weil der NCCK seine Friedenskampagne dort erstmals durch eine große Unterschriftensammlung auf eine internationale Ebene heben konnte.

Seither haben sich viele ökumenische Gemeinschaften, die EMS-Familie eingeschlossen, im Gebet, mit Aktionen und Unterschriften daran beteiligt. 2021 wurde die Kampagne schließlich in den „Friedensaufruf für Korea“ (Korea Peace Appeal) umgewandelt, an dem aktuell über 400 religiöse und zivilgesellschaftliche Organisationen beteiligt sind. Der „Friedensaufruf für Korea“ fordert, den Kriegszustand endlich zu beenden und ein Friedensabkommen zu verabschieden; ein Land und eine Welt ohne Kernwaffen und nukleare Bedrohung zu schaffen; den Konflikt durch Dialog und Kooperation statt durch Sanktionen und Druck zu lösen; aus dem Teufelskreis der Aufrüstung auszubrechen und in menschliche Sicherheit und Nachhaltigkeit für die Umwelt zu investieren.

Am 27. Juli 1953 wurde am Grenzübergang Panmunjeom der Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea unterzeichnet, er jährt sich damit 2023 zum 70. Mal. Bis zu diesem symbolträchtigen Datum möchte die Kampagne eine Million Unterschriften von Unterstützerinnen und Unterstützern aus der ganzen Welt sammeln. Die Unterschriften sollen den Vereinten Nationen und den Regierungen der am Koreakrieg beteiligten Länder, darunter die Republik Korea, die Demokratische Volksrepublik Korea, die Vereinigten Staaten und die Volksrepublik China, übergeben werden.

Steigende Spannungen und schwindender Rückhalt

Die Zeit drängt: Gab es bis vor wenigen Jahren noch hoffnungsvolle Signale der Versöhnung und der Annäherung zwischen Nord- und Südkorea, so entwickelt sich die Situation inner- und außerhalb der koreanischen Halbinsel wieder in eine sehr aggressive Richtung. Südkoreas Rhetorik gegenüber Nordkorea wird feindseliger, während Nordkorea ständig neue Raketentests durchführt. Darüber hinaus drohen die sich verschlechternden Beziehungen zwischen den USA, China und Russland einen weiteren Krieg auf der koreanischen Halbinsel auszulösen – die Gefahr einer darüber hinausgehenden Eskalation inbegriffen.

Besorgniserregend ist auch, dass bei jungen Südkoreaner*innen eher Desinteresse vorherrscht, wenn es um das Thema Nordkorea geht: Laut einer Umfrage des Instituts für Wiedervereinigung und Frieden der Nationalen Universität Seoul, die 2021 durchgeführt wurde, gaben 44,6 Prozent der Befragten an, dass die Wiedervereinigung notwendig sei, während 26 Prozent sie nicht für notwendig hielten; das sind 19,2 Prozent weniger als bei der gleichen Frage (63,8 Prozent) im Jahr 2007. Die Umfrage ergab, dass besonders unter der jungen Generation der Anteil derer drastisch zugenommen hat, der die Wiedervereinigung negativ bewertet oder ihr gleichgültig gegenübersteht. Doch wenn die junge Generation ihre Vision von Frieden und Wiedervereinigung verliert, gibt es keine wirkliche Zukunft für Korea.

Wir befinden uns in äußerst kritischen Zeiten. Umso mehr müssen wir an der Hoffnung auf Frieden und Wiedervereinigung festhalten. Frieden ist der einzige Weg für unser Volk, unsere Nation und sogar für die gesamte nordostasiatische Gemeinschaft, um zu überleben: „Ohne Visionen verkommt ein Volk“ (Sprüche 29,18). Die anhaltende Solidarität seitens der EMS seit mehr als 50 Jahren hat uns Kraft gegeben und mit Hoffnung für eine friedlichere Welt bereichert. Wir sind sicher, dass die EMS-Gemeinschaft uns auch künftig begleiten wird auf unserer gemeinsamen Reise in Richtung Frieden, Versöhnung und Einheit.

Shin Seung-min ist Pfarrer der Presbyterianischen Kirche in der Republik Korea (PROK). Von 2015 bis 2022 war er Generalsekretär des Nationalen Rates der Kirchen in Korea (NCCK).


Evangelische Mission in Solidarität

Die Evangelische Mission in Solidarität e. V. (EMS) ist eine internationale Gemeinschaft evangelischer Kirchen und Missionsgesellschaften. Zur EMS-Gemeinschaft gehören auch zwei protestantische Kirchen in Südkorea. Die Presbyterianische Kirche von Korea (PCK) besteht aus 6.300 Gemeinden mit mehr als 2,2 Millionen Gemeindegliedern und rund 8.600 Pfarrer*innen. Sie ist damit eine der größten Kirchen des Landes. Mit rund 340.000 Gemeindegliedern zählt die Presbyterianische Kirche in der Republik Korea (PROK) hingegen zu den kleineren Kirchen Südkoreas. 1.900 Pfarrer*innen und über 2.800 Kirchenälteste versehen den Dienst in den etwa 1.450 Gemeinden. Die Themen Frieden, atomare Abrüstung und Wiedervereinigung stellen wichtige Schwerpunkte der Arbeit von PROK und PCK dar.

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