Lese-Tipp: Im eigenen Feuer

In seinem Buch „Im eigenen Feuer“ schreibt der frühere israelische Geheimdienstchef Ami Ajalon über sein Leben im Anti-Terror-Krieg und über Israels Weg der vergangenen Jahrzehnte. Ajalon nimmt die Leser*innen mit auf eine sehr persönliche Reise durch die jüngste israelische Geschichte und auf seinen eigenen Weg hin zu einem Perspektivwechsel. Katja Dorothea Buck hat das Buch für uns gelesen.

Ami Ajalon mit Anthony David: Im eigenen Feuer.  Wie Israel sich selbst zum Feind wurde und die jüdische Demokratie trotzdem gelingen kann. Erinnerungen eines Geheimdienstchefs. Mit einem Geleitwort von Daniel Barenboim. Dietz-Verlag. ISBN 978-3-8012-0619-2 Ami Ajalon mit Anthony David: Im eigenen Feuer. Wie Israel sich selbst zum Feind wurde und die jüdische Demokratie trotzdem gelingen kann. Erinnerungen eines Geheimdienstchefs. Mit einem Geleitwort von Daniel Barenboim. Dietz-Verlag. ISBN 978-3-8012-0619-2

Dies ist ein ungewöhnliches Buch, denn sein Autor wurde nicht als Schriftsteller geboren, sondern ist in einem Kibbuz aufgewachsen, erzogen im patriotischen Geist der Gründerväter Israels. Ami Ajalon ging zum Militär, diente in einer Kampfschwimmertruppe und wurde Kommandeur der Marine. Dass er Menschen getötet hat, gibt er offen zu.

1995 bittet ihn Ministerpräsident Schimon Peres, die Führung des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet zu übernehmen. Kurz zuvor war Yitzhak Rabin ermordet worden – von einem Juden. Ajalon, der Kampfschwimmer, vergleicht diesen Auftrag mit einem „Einsatz im Abwasserkanal“. Fortan würde er in einem Verhörraum Informationen aus Ladenbesitzer*innen oder Jugendlichen herausquetschen und jüdische Mitbürger*innen ausspionieren müssen. Doch Peres will ihn, weil er Palästinenser*innen nicht nur als Terrorist*innen, sondern auch als Partner*innen sieht.

Ajalon leitet den Shin Bet bis 2000. Er sucht sich palästinensische Partner*innen, liest palästinensische Dichter*innen und Philosoph*innen, nimmt Kontakt zu Soziolog*innen auf. Schritt für Schritt arbeitet er sich in die Gedanken „der anderen Seite“ ein und begreift, dass Israel nicht nur Forderungen stellen kann, sondern auch Vertrauen aufbauen müsse. Denn keine Waffen und kein noch so guter Geheimdienst könnten den Terrorismus ohne eine kluge Politik beenden. „Hoffnung ist ein Aktivposten für Sicherheit“ betitelt er passend den Prolog seines Buches.

International bekannt wird Ajalon durch sein Friedensengagement. Mit dem palästinensischen Philosophen Sari Nusseibeh gründet er 2003 die Friedensinitiative The People’s Voice, die auf beiden Seiten Unterschriften für eine Zweistaatenlösung sammelt, und er ist Knesset-Abgeordneter bis 2009. Doch dieses Buch bietet mehr als Memoiren. Ajalon fragt kritisch nach der Zukunft Israels, das nicht nur die palästinensischen Nachbar*innen erniedrige, sondern auch die eigene Zivilgesellschaft untergrabe. Damit stehe die Sicherheit des Landes und seine Identität auf dem Spiel. Schmerzhaft stellt er fest, dass die eigenen Narrative mit „fatalen Irrtümern“ behaftet seien. Die Generation seiner Eltern habe ein Narrativ konstruiert von der Rückkehr in ein Land, „das uns geraubt, geplündert und von anderen besetzt wurde“. Dabei habe sie die zweitausendjährige jüdische Geschichte in der Diaspora ausgelöscht. Deshalb müsse die Vergangenheit neu erfunden werden, fordert er.

Dass ein solcher Wandel nicht herbeigeschrieben werden kann, weiß Ajalon. Deswegen fällt seine Prognose auch eher pessimistisch aus. „Wir Israelis brauchen wohl noch einige weitere Jahre einer rechtsgerichteten Herrschaft mit Angriffen auf Gaza und einer Zivilgesellschaft, die noch härter in den Würgegriff genommen wird. Erst dann erkennen wir, dass wir in einer dystopischen Gesellschaft leben, die für diejenigen, die unter unserer Knute leben, tyrannisch und für alle giftig und selbstzerstörerisch ist.“

„Im eigenen Feuer“ ist ein Buch, das nicht kalt lässt. So schonungslos, wie Ajalon mit eigenen Fehleinschätzungen umgeht, so deutlich fordert er einen Perspektivwechsel. Damit richtet er sich an alle, die nichts lieber sehen würden, als dass zwischen Mittelmeer und Jordan endlich ein gerechter Friede herrscht.

Katja Dorothea Buck

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