Christi Liebe bewegt, versöhnt und eint die Welt

Für seine 11. Vollversammlung hat der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) eine Einladung nach Karlsruhe angenommen. Das Exekutivkomitee des Rates hat Anfang Juni 2020 beschlossen, die Versammlung auf das Jahr 2022 zu verschieben. Der Rat möchte damit sicherstellen, dass die Delegierten der Mitgliedskirchen aus der ganzen Welt in der Lage sein werden, an der Versammlung teilzunehmen. Gegenwärtig ist nicht abzusehen, wie die Situation in den unterschiedlichen Ländern und Regionen aufgrund von Covid-19 im September 2021 aussehen wird. Auch die Folgen des weltweiten „Lockdowns“ sind noch nicht abzusehen, doch Expert*innen gehen davon aus, dass die Pandemie das öffentliche Leben bis weit hinein in das Jahr 2021 beeinträchtigen wird. Ein Beitrag aus dem EMW-Jahresbericht 2019/2020.

Die Einladung an den ÖRK, seine nächste Vollversammlung in Karlsruhe zu veranstalten, erfolgte im Namen der Mitgliedskirchen in Deutschland und in Absprache mit denen in Frankreich und der Schweiz. In dem Bewerbungsvideo, das dem Zentralkomitee des ÖRK dazu vorgestellt wurde, wird Karlsruhe als ein Ort in der Mitte Europas und als Schnittpunkt vielfältiger Bewegungen und Ereignisse einer bewegten Geschichte gekennzeichnet. Angesprochen werden die Veranstaltungen zum 500. Jahr der Reformation inklusive ihrer internationalen Dimensionen, die ökumenischen Beziehungen in der Region und die Prägung durch Migrationsbewegungen. Erinnert wird an die kriegerische Geschichte der Grenzregionen zwischen Deutschland und Frankreich und an die nachfolgende Aussöhnung vor allem mit den französischen Nachbarn. Nicht nur durch den Hinweis auf das Nagelkreuz von Coventry in der Karlsruher Christus-Kirche wird ein Bogen zu den kirchlichen Versöhnungsprozessen geschlagen, die durch die ökumenische Bewegung nach dem Ende des 2. Weltkrieges ermöglicht wurden und die sie ihrerseits gestärkt haben.

Bischof Cornelius Bundschuh betont im Bewerbungsvideo den Aspekt der Versöhnung in einer europäischen Region, die früher von „Erbfeindschaft“ zwischen Franzosen und Deutschen geprägt war. © Foto: Bewerbungsvideo um die Ausrichtung der Vollversammlung | Bischof Cornelius Bundschuh betont im Bewerbungsvideo den Aspekt der Versöhnung in einer europäischen Region, die früher von „Erbfeindschaft“ zwischen Franzosen und Deutschen geprägt war.

Die seitdem errungene Versöhnung und Einheit werden in der Einladung nach Karlsruhe dargestellt durch die Vielfalt der Gesichter und der Sprachen von Menschen aus der ganzen Welt. Ihre Gegenwart charakterisieren Karlsruhe und auch Straßburg als europäische Städte und belegen ihre internationale Offenheit. Yassir Eric, ursprünglich aus dem Sudan und Leiter des Europäischen Instituts für Migration, Integration und Islamthemen an der Akademie für Weltmission in Korntal, wird damit zitiert, dass für ihn das Verfassungsgericht in Karlsruhe ein Zeichen für die Macht des Rechtes ist. Von einer Rechtssicherheit, wie sie dieses oberste Gericht garantiere, seien viele Länder der Welt immer noch weit entfernt.

Karlsruhe wird nicht nur als Stadt, sondern als Teil einer länderübergreifenden Region vorgestellt. In diesem Raum werden ständig Grenzen zwischen Nationen und Konfessionen, deren Vertreter*innen zu Wort kommen, überschritten. Auch die Grenzen zwischen den Religionsgemeinschaften werden als durchlässig dargestellt, wofür der „Garten der Religionen“ in Karlsruhe als sichtbares Zeichen steht. Christian Albecker, Präsident der Union protestantischer Kirchen in Elsass und Lothringen, spricht dann auch von der Vollversammlung als einer grenzüberschreitenden, transnationalen Versammlung, die in dieser Region eine adäquate Verortung finden kann.

Es ist erhellend, auf die Einladung für die Vollversammlung im Licht des Themas zurück zublicken. Festgelegt wurde das Thema tatsächlich erst Monate, nachdem die Einladung nach Karlsruhe vom ÖRK angenommen worden war. Es ist überraschend, wie präsent Aspekte von Einheit und Versöhnung in dieser Region sind, in der die Vollversammlung stattfinden soll. Ergänzt man in dem folgenden Statement aus dem Video von Bischof Cornelius Bundschuh Hoffnung mit Liebe, gibt die Einladung nach Karlsruhe bereits einen Hinweis, wozu Christi Liebe die Welt bewegen will: „Diese Hoffnung, die mit Christus in die Welt gekommen ist, das ist eine Hoffnung für die ganze Welt, und die wird uns helfen, mit den Konflikten, die wir heute in der globalen Welt haben, gut zurecht zu kommen.“

„Gottes Heilsplan“

Es wird die zweite Vollversammlung des ÖRK auf dem europäischen Kontinent sein, nachdem Vollversammlungen auf allen anderen Kontinenten stattgefunden haben, zuletzt 2013 in Busan/Südkorea. Zu seiner Gründung war der ÖRK 1948 unter dem Titel „Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan“ (Man’s Disorder and God’s Design) in Amsterdam zusammengekommen (s. Literaturliste: Die erste Vollversammlung). Über 70 Jahre danach könnte das Thema der kommenden Vollversammlung auch als eine aktualisierende Wiederaufnahme dieses Titels gelesen werden. Damals war es die Herrschaft Christi als Gegenentwurf zur Unordnung der Welt, die laut der Analyse der Kirchen aus dem Streben der Menschen nach Herrschaft entstand, und mit deren Folgen die Welt und ihre Kirchen noch lange zu kämpfen hatten. Karl Barth sagte in Amsterdam mahnend: „In unserem Ringen mit sozialen und internationalen Problemen müssen wir uns daran erinnern: wir werden es nicht sein, die diese böse Welt in eine gute verwandeln. Alles, was wir tun können, ist Gottes Reich anzeigen – nicht ein irdisches Reich.“ (s. Literaturliste: Die erste Vollversammlung, 38). Das Thema für 2022 spricht nicht von Gottes Reich, sondern von der Welt, und offensichtlich will der ÖRK die Liebe Christi als die Kraft proklamieren, die eine globalisierte und weiterhin zerrissene Welt zu Versöhnung und Einheit bewegt. So verstanden ist es eine Provokation, deren Behauptung eingeholt werden müsste vor einer religiös und weltanschaulich vielfältigen Welt, die in weiten Bereichen säkular geworden ist.

„… nicht brennender geliebt“

Das Bewerbungsvideo stellt die Region mit Karlsruhe, Straßburg und Basel als ein Beispiel dafür vor, dass sich seit 1948 tatsächlich Vieles in der Welt verändert hat, manches zum Besseren.

Zwischen den Vollversammlungen von Amsterdam und Karlsruhe liegen über 70 Jahre, die Orte sind nur knapp 550 Kilometer voneinander entfernt. Von Karlsruhe nach Stuttgart sind es circa 80 Kilometer. Den dort tagenden Rat der Evangelischen Kirchen in Deutschland hatten am 19. Oktober 1945 Vertreter des in Gründung befindlichen ÖRK besucht. In dieser Sitzung wurde die Stuttgarter Schulderklärung vorgestellt. Es war ein wichtiges Zeichen auf dem Weg der Annäherung, der eine Teilnahme der deutschen Kirchen in Amsterdam ermöglichte. Darin findet sich der Satz: „Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregime seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt, und nicht brennender geliebt haben.“

Die evangelischen Kirchen in Deutschland können nicht für sich in Anspruch nehmen, alle im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft zu haben, der im nationalsozialistischen Gewaltregime seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat. Schon im Studienband zur Vorbereitung der Amsterdamer Vollversammlung finden sich dazu aufschlussreiche Darstellungen (s. Literaturliste: Die Kirche in Gottes Heilsplan, 102 – 112. 112-116). Der hoch geachtete reformierte Theologe Jürgen Moltmann vermerkte 1972 in der Einleitung zu seinem Buch „Der gekreuzigte Gott“, dass damals die Überlebenden seiner Generation „erschüttert und zerschlagen […] aus den Lagern und Lazaretten in die Hörsäle“ kamen. Eine Theologie, „die nicht im Angesicht des gottverlassenen Gekreuzigten von Gott gesprochen hätte, hätte uns damals nicht erreicht.“ (s. Literaturliste: Der gekreuzigte Gott, 7) Er spitzt das zu, dass nicht die erlebten Erfahrungen wichtig seien, „sondern der, den man in ihnen erfahren hat“: der Gekreuzigte. „Nicht um eine abstrakte Theologie des Kreuzes und des Leidens geht es, sondern um eine Theologie des Gekreuzigten.“ (s. Literaturliste: Der gekreuzigte Gott, 10)

Das passt zum Thema der Vollversammlung des ÖRK, der bekanntlich als Gemeinschaft von Kirchen gegründet wurde, „die unseren Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland anerkennen.“ (s. Literaturliste: Die erste Vollversammlung, 266). In Neu Delhi wurde in der Präambel aus dem „anerkennen“ ein „bekennen“ und sie wurde darum ergänzt, dass die Mitgliedskirchen „gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und die Heiligen Geistes.“

Über diese Berufung und die Aufgabe der Kirchen in der Welt urteilen manche Stimmen in der ökumenischen Bewegung heute ähnlich wie Karl Barth 1948. Im Aufruf der Weltmissionskonferenz in Arusha (2018) heißt es nicht, dass die Welt böse sei, aber dass ihre Strukturen zutiefst ungerecht seien: „Trotz einiger Hoffnungsschimmer waren wir mit todbringenden Kräften konfrontiert, die die Weltordnung erschüttern und vielen Menschen Leid bringen. Wir mussten klar erkennen, dass die schockierende Anhäufung von Reichtum durch ein einziges globales Finanzsystem einige wenige Menschen sehr reich und sehr viele sehr arm macht. Dies ist die Grundursache für viele der derzeitigen Kriege und Konflikte, für die Umweltzerstörung und das Leid.“ Doch wenn die Strukturen als menschengemacht verstanden werden, werden die dahinterstehenden Kräfte als solche charakterisiert, die durch menschliches Handeln verändert werden können. Eine solche Einschätzung hat Einfluss auf die Aufgaben der Kirchen in dieser Welt, die sie, durch Christi Liebe motiviert, als ihren Auftrag erkennen.

Der Blick zurück auf Stuttgart und Amsterdam lädt ein, danach zu fragen, was sich seit damals in der Perspektive von Versöhnung und Einheit getan hat und welche Rolle die Kirchen dabei gespielt haben. Das vorzustellen, ist für 2022 geplant, und es werden Geschichten von Aussöhnung, Frieden und ökumenischer sowie internationaler Kooperation aus der Region darunter sein. Als weltweite Gemeinschaft bringen die Mitgliedskirchen des ÖRK aus ihren Kontexten vergleichbare Erfahrungen ein, allerdings auch ganz andere, von fortwährenden und neuen Konflikten, Unfrieden und ausstehender Versöhnung. Nicht zuletzt richtet sich der Blick auf die Einheitsbemühungen unter den Kirchen, wie sie in jüngerer Zeit in dem Dokument „Die Kirche. Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Vision“ der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung des ÖRK festgehalten wird.

Der auf der Vollversammlung in Busan 2013 ausgerufene Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens ist ebenfalls solch eine Aufforderung zur Spurensuche in der Praxis, wie und wo Gott in Christus die Welt zu Versöhnung und Einheit führt und welche Rolle Seine Kirche dabei spielt. Der Pilgerweg führte die Mitgliedskirchen bisher an Orte, die auf Grund lange bestehender sowie neu aufgebrochener Konflikte schmerzerfüllt sind. Er führte auch zu Hoffnungsorten, die Zeichen für Aufbrüche und Entwicklungen zum Besseren und Zeugnisse für den Dienst von Kirchen sind (s. Literaturliste: Gemeinsam unterwegs).

Die herausfordernde und theologisch spannende Frage ist, wie sich identifizieren lässt, welche Rolle die Liebe Christi in diesen Bewegungen in der Welt gespielt hat. Im Sinne des Zitates von Moltmann könnte dabei auf die Erfahrungen von Menschen mit Christus geachtet werden und auf ihre Zeugnisse, wozu die Liebe Christi sie bewegt hat. Der Pilgerweg führt zu Menschen, die in der Begegnung mit Christus und der Erfahrung seiner Liebe über sich hinausgewachsen sind. In Begegnungen mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus und durch den Heiligen Geist zur Nachfolge bevollmächtigt, haben sie sich verändert. Sie tragen dazu bei, dass ungerechte Kriege durch einen gerechten Frieden überwunden wurden und werden, dass aus Feindschaft Versöhnung wachsen konnte und kann. Den Herausforderungen von rapide sich verändernden Gesellschaften kann im Geist Gottes begegnet werden. Die Formulierung der Stuttgarter Erklärung von 1945 kann den Menschen und ihren Kirchen in der ökumenischen Bewegung auch im 21. Jahrhundert als Leitlinie dienen, wenn sie auf ihrer Versammlung die Liebe Christi als Beweggrund für die Welt proklamieren: Mutiger bekennen, treuer beten, fröhlicher glauben, brennender lieben.

Die genannten Perspektiven machen aufmerksam dafür, dass die Spuren von Christi Liebe nicht in einem scheinbar linearen Fortschritt von damals bis heute oder in einer noch besseren Zukunft zu finden sind. Sie sind zunächst in den Handlungen von Menschen zu finden und den Bewegungen, die davon in der Geschichte ausgingen. Diese Spuren sind damit auch in den Ambivalenzen und Brüchen aufzusuchen. Denn in allem, was Menschen, die von Christi Liebe bewegt sind, erreicht haben, wirken Interessenskonflikte und Ungerechtigkeiten fort und fordern zu ständigem Engagement und weiterem Handeln auf. Um Barths Worte von 1948 zu variieren: Die Mission der Kirchen ist nicht, Gottes Reich auf Erden zu verwirklichen, sondern aus und in der Liebe Christi an seiner Mission für diese Welt teilzunehmen.

Über alles, was Menschen erreichen, sollte allerdings die eschatologische Dimension von Christi Liebe nicht vergessen werden: Es ist Gott, der die Welt neu werden lässt. Damit muss sich der Blick weiten für die Verheißungen der Liebe Christi, die sich nicht sofort in den Handlungen von Christen und Christinnen entdecken lassen.

Die Welt bewegen

Das Thema der kommenden Vollversammlung des ÖRK verbindet mehrere Schlüsselbegriffe, die eine lange Geschichte in der ökumenischen Bewegung haben. Für 2022 warten sie darauf, als Auswahl und in der besonderen Kombination konkretisiert zu werden: Christus, Liebe, Welt, Einheit und Versöhnung.

Das Thema ist von 2. Korinther 5,14 „Die Liebe Christi drängt uns“ inspiriert, wobei das „drängt uns“ durch „bewegt die Welt“ ersetzt wurde. In dem Abschnitt 2. Korinther 5, aus dem der Vers stammt, schreibt Paulus (Vers 20), dass Christen und Christinnen Botschafter der Versöhnung in Christus werden sollen. Diese Botschaft zu vermitteln, ist die Mission der Kirche als Gemeinschaft der Christinnen und Christen.

Die Botschaft von der in Gott geschehenen Versöhnung erweist das Kreuz als ein historisches und eschatologisches Ereignis zugleich. Moltmann schließt daran mit seiner Formulierung an, dass es um die Erfahrung mit dem Gekreuzigten in der jeweils aktuellen Geschichte und dem eigenen Leben geht (s. Literaturliste: Der gekreuzigte Gott, 189). In dem am Kreuz Gestorbenen und Auferweckten zeigt sich Gott als menschlich und zugleich als der machtvoll Lebendige. Über einen trinitarischen Zugang wird später mehr zu sagen sein.

Stellt man die missionarische Dimension des Themas zunächst in den Kontext der Diskussion in der jüngeren ökumenischen Bewegung, dann fällt der Blick auf die letzte große Missionserklärung des ÖRK „Gemeinsam für das Leben“. Diese setzt einen etwas anderen Akzent, wenn es darin gleich zu Beginn heißt: „Wir glauben an Gott, den Heiligen Geist, den Lebensspender, der das Leben erhält und stärkt und die ganze Schöpfung erneuert (1. Mose 2,7; Johannes 3,8). Die Negation des Lebens kommt einer Verleugnung des Gottes des Lebens gleich.“ Jesus ist die Inkarnation des Gottes des Lebens: „Wir glauben an Jesus Christus, das Leben der Welt und die Inkarnation von Gottes Liebe für die Welt (Johannes 3,16). Für das Leben in seiner ganzen Fülle einzutreten, ist Jesu Christi höchste Aufgabe und Sendung (Johannes 10,10).“ (s. Literaturliste: Gemeinsam für das Leben, Gemeinsam für das Leben, Abschnitt 1).

Die Erklärung spricht durchgängig vom Gott des Lebens für die Welt, weniger von Gott dem Lebendigen. Bekanntlich begreift die Erklärung den Heiligen Geist als den Missionar, der Menschen und Kirchen beruft und bewegt. Die Verknüpfung vom Gott des Lebens, dem Heiligen Geist als Missionar und Jesus Christus als inkarnierter Liebe wird in diesen Zitaten deutlich: „18. Eindeutig ist, dass wir durch den Geist an der Mission der Liebe teilhaben, die der Herzschlag des trinitarischen Lebens ist. Dies führt zu einem christlichen Zeugnis, das unablässig Gottes rettende Kraft durch Jesus Christus verkündet und Gottes aktive Gegenwart, kraft des Heiligen Geistes, in der ganzen geschaffenen Welt betont. Alle, die auf die überströmende Liebe Gottes antworten, sind eingeladen, zusammen mit dem Geist an der Mission Gottes teilzunehmen.“

„67. Durch Christus im Heiligen Geist wohnt Gott der Kirche inne und befähigt und belebt ihre Glieder. Mission wird so für Christen und Christinnen zu einer dringenden inneren Notwendigkeit (1. Korinther 9,16), ja zu einem Test und Kriterium für ein authentisches Leben in Christus, das verwurzelt ist in der umfassenden Forderung der Liebe Christi, andere zur Teilhabe an der Fülle des Lebens einzuladen, die zu bringen Jesus gekommen ist. Die Teilnahme an der Mission Gottes sollte deshalb für alle Christinnen und Christen und alle Kirchen und nicht nur für bestimmte Personen oder spezialisierte Gruppen etwas ganz Natürliches sein.“

Ein Arbeitspapier der Kommission für Weltmission und Evangelisation (CWME) knüpft daran und vor allem an die Weltmissionskonferenz in Arusha 2018 unter dem Stichwort „verwandelnde Nachfolge“ an. Dieses Papier interpretiert den Titel der Vollversammlung im Rahmen der letzten Missionserklärung trinitarisch:

„Gottes Liebe in Christus ist der Grund für Gottes Mission und Gottes Aufruf in Christus durch den Heiligen Geist an alle Frauen und Männer des Glaubens, sich an Gottes Werk zu beteiligen, ist die Essenz der christlichen Mission.“ (s. Literaturliste, Missiological exploration)

Die Liebe Christi wird in der Folge als die Kraft beschrieben, die Menschen verändert und sie dazu bewegt, sich in der Welt für Versöhnung, Einheit und Gerechtigkeit einzusetzen (transforming discipleship) (s. Literaturliste: Vom Geist bewegt). Theologisch bleibt es dabei spannend, den Zusammenhang zwischen dem Handeln des trinitarischen Gottes in der Welt und dem Handeln von durch Gottes Liebe verwandelten Menschen für die Welt auszulegen (missio dei) (Anm: Im Unterschied dazu versteht sich die Kapstadt-Verpflichtung der Lausanner Bewegung (2010) als ein Bekenntnis „Für den Herrn, den wir lieben“. „Wir lieben, weil Gott uns zuerst geliebt und seinen Sohn gesandt hat als Versöhnung für unsere Sünde.“ Mission als Dienst der Liebe ist damit die Pflicht und die Antwort der Menschen auf die Liebe in Christus, die durch ihre Versöhnung aller menschlichen Liebe zuvor kommt. Die Erklärung von Kapstadt betont, dass „wir“ den lebendigen Gott lieben, der uns zuerst geliebt hat: den Vater, den Sohn und den heiligen Geist und dann die Welt. Diese Grundlegung in der Liebe führt zum zweiten Teil des Aufrufs, in dem es um die Welt geht, in der „wir“ dienen. Im zweiten Teil erscheint Liebe in den 6 Unterabschnitten dann nur im Kontext des Lebens unter Menschen anderen Glaubens. s. Literaturliste: Für die Welt, die wir dienen).

Liebe Christi als treibende Kraft

Den bisherigen Hinweisen folgend, könnte der Titel für die kommende Vollversammlung auch als Konkretisierung des Titels der Vollversammlung von Busan gelesen werden: „Gott des Lebens, führe uns zu Gerechtigkeit und Frieden“. Aus der Gebetsbitte und Anrufung Gottes in Busan wird für Karlsruhe eine Proklamation der Liebe Christi als treibende Kraft für Veränderungen in der Welt. Die gewählte deutsche Übersetzung verschiebt dabei den Fokus des Titels etwas, indem durch die Verwendung von Verben anstelle von Hauptworten und durch die Gleichschaltung der Verben Christi Liebe die Welt selbst bewegt, nicht nur die Welt zu Versöhnung und Einheit, wie es der englische Titel aussagt: „Christ’s love moves the world to reconciliation and unity“.

2. Korinther 5 spricht von der Liebe Christi als versöhnende Kraft. Erzählungen in den Evangelien sprechen vom Handeln Jesu in seinen Erdentagen. Zwei seien hier aufgegriffen, eine, die die tätige Liebe unter Menschen illustrieren kann, eine zweite, um weitere Dimensionen der Liebe Gottes in Christus zu seiner Welt zu verdeutlichen.

Die erste Erzählung geht im Matthäusevangelium der Einsetzung der Jünger durch Jesus und ihrer Beauftragung, Krankheiten zu heilen und die Geister auszutreiben, voraus. „Und Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen. Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“ (Mt 9,35ff) „Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.“ (Mt 10,1)

Im Text bricht eine Kluft auf zwischen der Ansage, dass er „alle Krankheiten und alle Gebrechen“ heilte, alle unreinen Geister austrieb, und der Beobachtung an biblischen Texten, die zu Jesu Zeiten weiterhin von Krankheit, Gebrechen, Armut und Ungerechtigkeit sprechen. Akzeptiert man das Fortbestehen der Ungerechtigkeiten nicht als Folge individueller menschlicher Sünden, sondern als Signatur einer Weltordnung, dann bricht in der Mitte der Liebe Christi das eschatologische „Schon jetzt und noch nicht“ auf: Er kam, um das Evangelium allen mitzuteilen, und immer wieder wird betont, dass er „alle“ heilte. Alle bezog sich jedoch offensichtlich auf die, denen er jeweils an diesem Ort und zu dieser Zeit begegnete. Diese Tätigkeit war letztlich zeichenhaft und exemplarisch, denn selbst Christi Liebe hat während seiner Tätigkeit auf der Erde nicht alle Krankheiten und Gebrechen derjenigen geheilt, die seine Zeitgenossinnen und -genossen waren. Die Beauftragung der Jünger (Mt 10,1) reichte ebenso wenig aus, eine Welt herbeizuführen, die frei von Krankheiten, Gebrechen, Ausbeutung und Unterdrückung war. Das bleibt der Wiederkunft Christi überlassen, der die Welt neu schaffen wird. Bis dahin wird auch die Mission der Kirche zur Überwindung von Ungerechtigkeit und zur Heilung immer zeichenhaft bleiben. Ihre Liebe muss daher die Solidarität umfassen, die Erfahrung der Ungerechtigkeit und des Leiden mit denen zu teilen, die in dieser Welt an den Rand gedrängt sind und bleiben. Die Botschaft von der Versöhnung und Einheit muss sich angesichts des Ausstehens ihrer vollen Verwirklichung bewähren, und das kann sie nur aus der Liebe Christi.

Aus vier Elementen besteht das Plakatmotiv zur Vollversammlung in Karlsruhe 2022: Es zeigt Kreuz, Taube, Kreis und Weg. © Foto: ÖRK | Aus vier Elementen besteht das Plakatmotiv zur Vollversammlung in Karlsruhe 2022: Es zeigt Kreuz, Taube, Kreis und Weg.

Diese und ähnliche Erzählungen der Evangelien fokussieren auf das missionarische Handeln und die Zeugnisse der Menschen, die sich von Christi Liebe motiviert und getragen eben in diese Mission berufen lassen. Auf einen anderen Aspekt verweist die Rede Christi als Weltenrichter (Mt 25, 31-46), der die Menschen nicht danach richtet, wie sie geglaubt und welcher Wahrheit sie gefolgt sind. Vielmehr richtet er sie danach, ob sie die Werke der Liebe getan haben. Handeln aus Liebe und im Sinne von Christi Gerechtigkeit trägt in Matthäus 25 selbst diejenigen durch das Gericht, die nicht von ihm wussten: Wann haben wir Dir zu trinken gegeben? Wann haben wir Dich besucht? Für die Fragesteller ist die erstaunte Frage, wann das, was sie für Menschen getan haben, Christus zu Gute gekommen ist, wann sie je ihm begegnet wären. Der Weltenrichter antwortet: „Was ihr dem Geringsten unter meinen Geschwistern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Dabei sind es Werke, die heute vornehmlich der Diakonie zugerechnet werden: Gefangene und Kranke besuchen, Arme zu speisen oder zu kleiden. Diese Werke können allerdings auch als Zeichen von Widerstand gegen die Verhältnisse verstanden werden, die Menschen dazu zwingen, unter solchen Bedingungen zu leben. Das steht für die politische Dimension von Diakonie und Mission.

Solche Bezüge auf biblische Passagen werden exemplarisch und zeichenhaft bleiben, wie die Berichte vom Handeln Jesu auf Erden überhaupt. Zusammengenommen verdeutlichen sie jedoch die spannungsvolle Einheit vom Zeugnis derjenigen, die sich von der Liebe Christi motivieren lassen, die Welt zu verändern, einerseits. Andererseits erschließt die zweite Passage vom Gericht die Möglichkeit, das Handeln von Menschen prophetisch im Sinne der Liebe Christi zu deuten, ohne sie selbst für einen Glauben zu vereinnahmen, wenn sie ihn nicht teilen. Das wird möglich, wenn Mission nicht nur vom Handeln derjenigen Menschen her bestimmt wird, die sich bewusst in die Nachfolge Christi berufen lassen. Im Sinne von missio dei meint Mission die Teilhabe an Gottes Mission: sie ist weiter und erschöpft sich nicht im Handeln von Kirchen oder von einzelnen Christen und Christinnen. Es ist der Heilige Geist, der als „Missionar“ Menschen bevollmächtigt Gottes Liebe in dieser Welt zu leben. Durch ihn können das Handeln und der Glaube von Menschen ins Licht des Evangeliums treten, die diesen Gott nicht bekennen.

Wird auf die Nachfolge von einzelnen fokussiert, etwa im Sinne von Matthäus 9 oder des „Taufbefehls“ (Mt 28), kann die christologische Formulierung des Themas der kommenden Vollversammlung als Anfrage an die Geisttheologie verstanden werden, die in der jüngeren Vergangenheit die ökumenische Missionstheologie geprägt hat: der zweite Artikel des Glaubensbekenntnis als Korrektur? Die Titel der Vollversammlungen von Neu Delhi (3. VV „Jesus Christus Licht der Welt“) bis Vancouver 1983 (6. VV „Jesus Christus – das Leben der Welt“) waren christologisch formuliert. Seit Canberra (7. VV) waren es der Geist oder in Busan Gott, die im Titel als Person der Trinität benannt wurden (s. Literaturliste: ÖRK-Vollversammlung und ihre Themen).

Besonders die Weltmissionskonferenz 2005 in Athen hat die Rolle des Geistes in der Mission und die Mission als Versöhnung und Heilung ausgelegt (s. Literaturliste: “Come Holy Spirit, heal and reconcile!”). In Athen wurde Mission als Versöhnung und Heilung sowohl auf die in Christus geschehene Versöhnung bezogen wie auf Versöhnungsprozesse in der Welt, an denen Kirchen sich beteiligt hatten. Das Thema für Karlsruhe spricht von der Welt, die Christi Liebe zu Versöhnung und Einheit bewegt, und damit ist die Menschheit angesprochen, nicht nur diejenigen, die an Christus glauben. Eine trinitätstheologische Einholung des Themas vermeidet die angedeutete Gegenüberstellung des zweiten und dritten Artikels und möglicher Engführungen, die daraus abgeleitet werden könnten. In einem trinitarischen Rahmen ist Christus der Ausdruck der Liebe Gottes, und diese Liebe ist die Botschaft der Versöhnung, die in der Gemeinschaft des dreieinigen Gottes geschehen ist. Die Versöhnung innerhalb Gottes heilte die Übertretung der Menschheit gegen Gott und brachte der Welt das Heil in Christus. Passagen wie 2. Korinther 5,18-19 zeigen, wie in Christus das Heil für die Welt und die Menschheit, Heilung, Versöhnung und Einheit miteinander verwoben sind. Die Schlüsselbegriffe der ökumenischen Bewegung und besonders die, die das Thema für Karlsruhe aufnehmen, können so interpretiert werden, dass sie die innere oikonomia der Erlösung durch Gott Vater, Sohn und Heiligen Geist zum Ausdruck bringen. 2. Korinther 5,17 fasst es gut zusammen: „Wenn also jemand in Christus ist, so gibt es eine neue Schöpfung: alles Alte ist vergangen; seht, alles ist neu geworden!“ Das letzte Ziel der Liebe Gottes für die Welt ist, neue Schöpfung in Christus zu werden.

von Michael Biehl für den EMW-Jahresbericht 19/20

Literaturliste

“Come Holy Spirit, heal and reconcile!” Report of the WCC Conference on World Mission and Evangelism, Athens, Greece, May 2005, Jacques Matthey, Genf 2008.

Der gekreuzigte Gott, Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie (Kaiser Traktate, 16), Jürgen Moltmann, München 51987.

Die erste Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam vom 22. August bis 4. September 1948. hg. v. W. A. Visser‘t Hooft, Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan. Fünfter Band. Zürich: Gotthelf Verlag. 1948.

Die Kirche in Gottes Heilsplan. Ökumenische Studien durchgeführt unter den Auspizien des Ökumenischen Rates der Kirchen und herausgegeben von der Studienkommission des Ökumenischen Rates in Genf (Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan, Bd. 1), Zürich: Gotthelf – Verlag, 1948. Die Texte von Edmund Schlink und von Reinhold von Thadden finden sich 102 – 112. 112-116.

Die Verfassung für den Ökumenischen Rat der Kirchen, in: Die erste Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam vom 22. August bis 4. September 1948. Hg. v. W. A. Visser‘t Hooft, Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan. Fünfter Band. Zürich: Gotthelf Verlag. 1948.

Für die Welt, der wir dienen: Der Kapstadtaufruf zum Handeln. IIC Die Liebe Christi leben unter Menschen anderer Glaubensrichtungen, in: Winterhoff, Birgit, Michael Herbst und Ulf Harder, (Hgg.), Von Lausanne nach Kapstadt. Der Dritte Kongress für Weltevangelisation (Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung. Praxis), Neukirchen-Vluyn 2012, 262ff.

Gemeinsam für das Leben. Mission und Evangelisation in sich verändernden Kontexten, https://www.oikoumene.org/de/resources/documents/commissions/mission-and-evangelism/together-towards-life-mission-and-evangelism-in-changing-landscapes?set_language=de (17.07.2020).

Gemeinsam unterwegs. Auf dem ökumenischen Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens (Beiheft zur Ökumenischen Rundschau, 123), Hg. von Fernando Enns und Susan Durber, Stuttgart 2019.

Missiological exploration on the 2021 WCC Assembly theme Christ’s love moves the world to reconciliation and unity and ongoing work of CWME (13th January 2020).

ÖRK-Vollversammlung und ihre Themen. Ein Überblick. Risto Jukko, in: EMW-Jahresbericht 2019/20, S. 8-9.

Vom Geist bewegt – zu verwandelnder Nachfolge berufen. Zur Weltmissionskonferenz in Arusha (Weltmission heute, 82), Herausgegeben von Michael Biehl, Christoph Anders und Helge Neuschwander-Lutz, (Hg.), Hamburg 2018.


Zur Person

Dr. Michael Biehl ist Theologischer Refernt bei der Evangelischen Mission Weltweit.


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