Erklärt: Mission und Nationalsozialismus

Warum stellte sich nicht die Mehrheit der Missionsbewegung in Deutschland gegen den Nationalsozialismus? Um das zu verstehen, muss man sich die historischen Zusammenhänge vor Augen führen. Eckhard Zemmrich, Theologe und EMW-Referent, erklärt sie.

© Foto: Matt Walsh/unsplash

Eine Grundvoraussetzung für christliche Mission besteht in der Überzeugung: Christlicher Glaube steht allen Menschen offen und verbindet sie zu einer weltweiten Gemeinschaft miteinander. Die faschistische Ideologie des Nationalsozialismus dagegen teilte Menschen in Gruppen mit höherem und niedrigerem „Lebenswert“ ein und wollte beide Gruppen streng voneinander abgrenzen. Wie verhielten sich christliche Missionen, ihre Akteur*innen und die zugehörige Missionswissenschaft in Deutschland dazu während der Zeit des Nationalsozialismus?

Die bisherige, teilweise von den Missionsgesellschaften selbst betriebene und in Auftrag gegebene Forschung zu dieser Frage lässt keine eindeutige Antwort zu: Es gab Missionsvertreter und Wissenschaftler, die den Hitlerstaat ausdrücklich begrüßten, die meisten versuchten sich zu arrangieren, einige kritisierten ihn. Die Rolle, die Frauen dabei spielten, wurde noch nicht untersucht, doch auch bei ihnen dürften sich alle drei Reaktionen finden. Warum stellte sich nicht die Mehrheit der Missionsbewegung in Deutschland gegen den Nationalsozialismus?

Hitler als Hoffnung für die Rückgewinnung der Missionsfelder

Um das zu verstehen, muss man sich die politische und geistesgeschichtliche Entwicklung vor 1933 vor Augen führen. Eine längerfristige Arbeit auf den „Missionsfeldern“ in Übersee war vom politischen Wohlwollen der jeweiligen Kolonialmächte abhängig. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden 1919 im Versailler Vertrag Deutschland alle Kolonien aberkannt. Deutsche Missionsgesellschaften verloren damit ihre Missionsstationen. Mit Hitlers Machtantritt kam die Hoffnung auf Zurückgewinnung der Kolonien auf, und damit auf Wiederinbesitznahme der Missionsfelder.

Außerdem hatten sich unter dem Eindruck der Befreiungskriege im 19. Jahrhundert und durch Industrialisierung und Säkularisierung Vorstellungen von einer Überlegenheit des deutschen Volkes gebildet: So sprach etwa der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) von einem „deutschen Urvolk“, und der Dichter Emanuel Geibel (1815-1884) prägte den Spruch „Am deutschen Wesen mag die Welt genesen.“ Das, was sich hier an Nationalismus und Rassismus in verschiedener Weise entfaltete, fand Aufnahme auch in frommen Kreisen, die sich unter dem Eindruck fortschreitender Entchristlichung nach einer Re-Evangelisierung nicht Einzelner, sondern „des Volkes“ sehnten. Nachrichten über die Taufe ganzer Clans und Stämme sowie die obrigkeitlich unterstützte Organisation kirchlichen Lebens auf den „Missionsfeldern“ nährte diese Hoffnung auf „Volkskirchen“ als Zukunftsmodell auch im Deutschen Reich unter Hitler.

Als der Druck zunimmt, ist Anbiederung die Folge

Trotz derlei, anfänglich auch deutlich zum Ausdruck gebrachter, Sympathien gegenüber den neuen Machthabenden nahm der staatliche Druck auf die Missionsgesellschaften während der Nazizeit immer mehr zu. Die nationalsozialistische Regierung misstraute offenbar der Eigenständigkeit und dem Internationalismus, die weltweit agierende Missionsgesellschaften unweigerlich prägen. Straßensammlungen für Missionszwecke wurden verboten, Geldüberweisungen ins Ausland erschwert, Festveranstaltungen behindert. Die Furcht vor schlimmeren Repressionen führte oft zu betonten Loyalitätsbekundungen auf Seiten der Mission, und zwar als Anbiederung an die Machthabenden, die vielfach über bloßes Mitläufertum hinausgingen. Opfer des faschistischen Terrors und die Verantwortung, die man dadurch selbst dafür trug, wurden verschwiegen oder übersehen.

Staatliche Benachteiligung von Missionsgesellschaften sowie Rede- und Berufsverbote für Missionswissenschaftler*innen halfen nach dem Zweiten Weltkrieg Missionswerken und der Missionswissenschaft lange dabei, eine weitgehende unkritische Haltung zu ihrer eigenen Rolle während des Nationalsozialismus einzunehmen. Inzwischen schreitet jedoch eine kritische und differenzierte Aufarbeitung voran. (Eckhard Zemmrich)

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