Mission Diversity – Für Kirche in Vielfalt
Vielfalt ist Wirklichkeit, doch in vielen Kirchen noch keine Selbstverständlichkeit. Das Projekt Mission Diversity der Europa-Region der World Student Christian Federation und der Evangelischen Mission Weltweit setzt sich mit den oft unsichtbaren Formen von Rassismus im kirchlichen Alltag auseinander und stärkt junge Menschen darin, sichere Räume zu gestalten und Veränderung anzustoßen.
Mission Diversity macht die oft verborgenen Mechanismen von Diskriminierung in kirchlichen Räumen sichtbar – nicht, um Schuld zuzuweisen, sondern um zentrale Fragen zu klären: Wo entstehen Ausschlüsse? Welche Strukturen verhindern gleichberechtigte Teilhabe? Und wie können kirchliche Räume so gestaltet werden, dass alle Menschen darin Platz finden?
In dem europäischen Projekt werden Fokusgruppen und partizipative Workshops organisiert, in denen Allies (Personen mit Privilegien, die sich solidarisch und unterstützend für diskriminierte Gruppen einsetzen) und marginalisierte Stimmen miteinander ins Gespräch kommen. Durch das Teilen von Erfahrungen und Perspektiven werden diskriminierende Muster erkennbar, sodass konkrete Veränderungsprozesse angestoßen werden können.
Ein Schwerpunkt liegt auf der Stärkung junger Menschen als Akteur*innen des Wandels. Sie erhalten theoretisches Wissen und praktische Werkzeuge, um in ihren Kirchen aktiv Veränderungen zu gestalten.
Mission Diversity versteht sich nicht als einmaliges Event, sondern als Beginn eines langfristigen Engagements für offene, vielfältige und inklusiv gestaltete kirchliche Gemeinschaften.
Interview mit Projektleiterin Serena Tiburtini
Warum Vielfalt für Kirchen ein Auftrag ist, welche Erfahrungen sie persönlich geprägt haben und wie ihre Vision einer inklusiven Kirche aussieht, erzählt Serena Tiburtini, Regionalsekretärin der Europa-Region der World Student Christian Federation und globale Programmkoordinatorin für Jugend, Sicherheit und Friedensförderung, im Gespräch mit EMW-Referentin und Chefredakteurin Corinna Waltz, die das Projekt gemeinsam mit ihr und vielen Anderen umsetzen darf.
Mission Diversity – was steckt hinter dem Namen und in dem Projekt?
Wir möchten die Mechanismen von Diskriminierung in kirchlichen Räumen sichtbar machen. Nicht, um Schuld zuzuweisen, sondern um zu verstehen: Wo liegen die Ursachen? Wie können wir Strukturen verändern? Dafür organisieren wir Fokusgruppen und partizipative Workshops. Wir bringen Allies (Personen mit Privilegien, die sich solidarisch und unterstützend für diskriminierte Gruppen einsetzen) und marginalisierte Stimmen zusammen, um Diskriminierung sichtbar zu machen und an Veränderungen zu arbeiten. Uns ist wichtig, dass junge Menschen als Akteur*innen des Wandels gestärkt werden. Sie erhalten theoretisches Wissen und praktische Werkzeuge, um ihre Kirchen aktiv zu verändern. Es geht nicht um ein einzelnes Event, sondern um einen Prozess. Mission Diversity soll ein Anfang sein für langfristiges Engagement für offene und integrative Gemeinschaften.
Warum der Fokus auf Deutschland, Polen, Finnland und Italien?
Die vier Länder wurden ausgewählt, um einen ersten Überblick über die Situation in sehr unterschiedlichen Teilen Europas – Süd-, Mittel-, Ost- und Nordeuropa – zu bekommen, die alle auf ihre eigene Weise mit Migration und dem Diskurs über interkulturelle Gesellschaften konfrontiert sind. Jedes Land bringt eigene Dynamiken mit.
In Deutschland machen sich immer mehr Kirchen und Gemeinden auf den Weg hin zu einer diskriminierungssensiblen und rassismuskritischen Kirche – doch das ist ein langer Weg, der viele Mitstreiter*innen braucht, um Hindernisse zu überwinden und Veränderung zu bewirken. Diesen Weg wollen Organisationen wie die Evangelische Mission Weltweit (EMW) und ihre Mitgliedsorganisationen unterstützen und aktiv mitgestalten, darum ist die EMW auch Partnerin in diesem Projekt.
Polen erlebt durch die Ankunft von Flüchtlingen aus der Ukraine einen tiefgreifenden Wandel in seinem sozialen Gefüge. Dies hat zu einer neuen Dynamik in der Wahrnehmung von und im Umgang mit Migration geführt. Polen hat sich zwar traditionell nicht als Einwanderungsland gesehen, aber die wachsende Präsenz von Neuankömmlingen stellt lange gültige Erzählungen in Frage und löst in den Kirchengemeinden neue Gespräche über Willkommenskultur und Identität aus.
Auch in Finnland beschäftigt sich die Kirche mit der Frage, wie sie Inklusion zu mehr als einem politischen Ziel machen kann. Die evangelisch-lutherische Kirche Finnlands, der etwa 60 Prozent der Bevölkerung angehört, hat begonnen, sich intensiver mit Fragen der ethnischen und kulturellen Vielfalt zu befassen. Vor allem in Städten mit wachsender Zahl von Migrant*innen und Geflüchteten stellt sich die Frage, wie Leitungsstrukturen, Liturgie und Gemeindeleben die Vielfalt widerspiegeln. Subtile Hürden wie Erwartungen an Sprache oder kulturelle Anpassung bleiben bestehen. Zugleich bietet Finnland die Chance zu zeigen, wie Inklusion gelingen kann, wenn Gleichheit ein starker gesellschaftlicher Wert ist, aber unbewusste Vorurteile weiterhin wirken.
Sie selbst leben in Italien. Welche Erfahrungen haben Sie geprägt?
Ich bin katholisch in einer Region aufgewachsen, die historisch wenig Vielfalt kennt. Als Kind erlebte ich, dass nur wenige Frauen, häufig aus Osteuropa, unserer Gemeinde beitraten. Oft wurde – meist unbewusst – angenommen, sie seien bedürftig oder aus schwierigen Verhältnissen. Diese Haltung wurde kaum hinterfragt, weil Vielfalt als Ausnahme galt.
In den letzten zehn Jahren habe ich in den Waldensertälern gelebt und die Waldenserkirche näher kennengelernt. Dort erlebe ich eine bewusste Arbeit an Gemeinschaft: Vielfalt ist nicht nur Prinzip, sondern gelebte Realität. Die Initiative Essere Chiesa Insieme („Gemeinsam Kirche sein“) steht dafür: Sie betont die Präsenz verschiedener Kulturen und begrüßt unterschiedliche liturgische Traditionen, Musik und Glaubenspraxis. Kulturelle Unterschiede bleiben, doch es entstehen Räume, in denen alle authentisch mitwirken können.
So unterschiedlich die Kontexte auch sind. Ich bin davon überzeugt: Eine Kirche, die Menschen in voller Würde anerkennt, braucht bewusste Anstrengung.
Mit welchen Herausforderungen rechnen Sie?
Viele Kirchen bekennen sich zur Vielfalt, aber in der Realität bleiben Menschen of Color oft ausgeschlossen von Leitungspositionen und Entscheidungsprozessen. Inklusion darf nicht nur heißen: „Ihr dürft dabei sein.“ Sie muss bedeuten: „Ihr gestaltet mit.“
Eine weitere Herausforderung ist das Bewusstsein für Rassismus im religiösen Kontext. Es erfordert Sensibilität, offen über Macht, Privilegien und Vorurteile zu sprechen. Uns geht es darum, Räume zu schaffen, in denen Lernen möglich ist – ohne Abwehr, aber mit echter Verantwortlichkeit.
Sie arbeiten mit jungen Erwachsenen und diese stehen auch im Mittelpunkt dieses Projekts. Wie sehen Sie ihren spezifischen Beitrag und welche Rolle spielen andere Generationen?
Als von jungen Erwachsenen geleitete Organisation stellen wir ihre Rolle als treibende Kraft und Gestalter*innen von Veränderung in den Mittelpunkt. Im Projekt teilen sie nicht nur ihre Erfahrungen, sondern benennen auch die Hürden, die ihnen den Weg in Leitungsaufgaben erschweren.
Ältere Generationen bringen Weisheit, einen historischen Kontext und ein tiefes Verständnis der kirchlichen Traditionen mit, die uns bei unseren Bemühungen um mehr Inklusion eine wichtige Orientierungshilfe sein können. Ihre Erfahrung im Umgang mit sozialen und kulturellen Veränderungen kann den jüngeren Generationen helfen, die langfristigen Auswirkungen ihrer Bemühungen zu verstehen.
Für ein langfristiges Engagement braucht es den bewussten Dialog zwischen den Generationen, der Verständnis und gemeinsame Verantwortung für eine wirklich inklusive Kirche stärkt. Deshalb wollen wir mit dem Folgeprojekt Mission Diversity 2.0 nicht nur weitere Länder einbeziehen, sondern auch gezielt Räume schaffen, in denen junge und ältere Generationen im Dialog stehen – und gemeinsam an Lösungen arbeiten.
Was ist Ihre Vision für eine Kirche in Vielfalt?
Eine Kirche, in der Zugehörigkeit nicht an Bedingungen geknüpft ist. Wo Unterschiede nicht verwaltet, sondern gefeiert werden.
Radikale Inklusion bedeutet für mich: Macht teilen, antirassistische und intersektionale Bildung in Ausbildung und Leitung verankern, marginalisierte Stimmen strukturell beteiligen. Gottesdienste sollen verschiedene Traditionen, Musikstile und Ausdrucksformen sichtbar machen, sodass Menschen ihre Identität im Glauben wiederfinden.
Mir ist wichtig, dass diese Veränderungen nicht punktuell bleiben. Wir brauchen dauerhafte Führungsrollen für Menschen aus Minderheiten, gezielte Förderung junger Leitungskräfte und transparente Strukturen für Gerechtigkeit und Rechenschaft.
Und was wünschen Sie sich konkret von Kirchenleitungen?
Mut zur Veränderung. Den Willen, Macht abzugeben und Räume zu öffnen, in denen Vielfalt nicht als Zusatz behandelt wird, sondern selbstverständlich dazugehört.
Denn eine wirklich inklusive Kirche scheut nicht die schwierigen Gespräche, sondern geht sie ehrlich an – im Vertrauen auf die Kraft von Gerechtigkeit, Liebe und der unantastbaren Würde jedes Menschen.
Mission Diversity ist ein gemeinsames Projekt der Europa-Region der World Student Christian Federation und der Evangelischen Mission Weltweit – unterstützt von Otto per Mille der Waldenserkirche Italiens.
